Eilig löse ich die Leinen und springe an Bord. Der Motor brummt bereits – zum Glück im Leerlauf. Mit einer Mischung aus Nervosität und Hektik setze ich mich an die Pinne und lege den Rückwärtsgang ein. Ich werde es also wirklich tun. Alleine, keinerlei Seeerfahrung. Mit einem neuen Boot. Nachdem ich gerade vom 8 Fuß Schlauchsegelboot auf einen 22 Fuß Kleinkreuzer gewechselt bin. Die Nordsee. Ist klar Sebastian – du fährst jetzt mal so einfach durch die Schleuse und raus aufs offene Meer. Über Jade, Weser und Außenelbe. Ganz easy.
Ich schüttle den Kopf während ich die Heckleinen einhole und nach vorne hechte, um den Karabiner vom Bug zu lösen. Interessante Vorrichtung. Hier im Hafen hängt man ein Boot beim Einfahren in die Box vorne ein. So kann es nicht mehr großartig vertreiben.
Dann bin ich wieder hinten, lege den Vorwärtsgang ein und gebe Gas.
Wasser spuckt aus dem Auspuff und wir nehmen Fahrt auf. Meine Gedanken wandern zurück zu meinem Plan. Es hört sich an wie ein schlechter Witz. Ist es aber nicht. Nachdenklich sehe ich auf BEA ORCA. Ich kann nur hoffen das ich sie richtig eingeschätzt habe. Sonst wird das ein kurzer Ritt. Immerhin: Sollte es nicht gehen kann ich hinter Minsener Oog den Anker werfen oder einfach umdrehen. Trotzdem… ich kenne mich. Damit ich abbreche muss schon etwas wirklich schief gehen.
Ein Blick auf die Uhr lässt mich den Gashebel nach unten drücken. Wo ist die Zeit nur hin? Es ist ja schon viertel vor acht! Um Acht wird geschleust. Danach erst um neun. Und dann ist es zu spät, dann reicht die Tide nicht mehr. Und so dampfe ich auf die Schleuse zu. Mit dem Fernglas werfe ich einen Blick auf die Ampel. Puh – sieht nicht so aus als würde schon geschleust werde. Na dann: Das schaffe ich. Pünktlich um Acht erreiche ich die Schleuse, zwei andere Boote warten bereits. Und warten. Mit einem grimmigen Grinsen im Gesicht wird mir klar, das ich wegen der Schleusung mindestens genauso nervös bin wie wegen der Nordsee. Ich habe noch nie geschleust. Theoretisch? Ja, theoretisch ist es klar – naja, halbwegs. Aber praktisch? Ich weiß über die Schleuse nur das meine Fender tief hängen müssen – mindestens auf Wasserlinie. Das tun sie. Aber sonst?
Endlich ist es so weit, die Schleuse öffnet ihre Tor und ich fahre als zweiter rein. Ich halte mich auf der rechten Seite und mache mich bereit festzumachen. Die Besatzung der Yacht vor mir scheint schon gemerkt zu haben das ich eher wenig Erfahrung habe und macht sich bereit mir zu helfen.
Plötzlich wird mir bewusst das ich viel zu schnell bin! Der Wind drückt von hinten und obwohl ich mittlerweile das Gas raus genommen habe treiben wir noch schnell auf die Yacht zu. Auch ein beherzter Zug am Hebel und Gas Rückwärts kann einen leichten Kontakt nicht mehr verhindern. Mein Bug bohrt sich in das hinten angehängte Beiboot. Scheiße.
Trotz des Missgeschicks hilft man mir beim Schleusen, gibt mir gute Tipps für die Zukunft. Und das Schlauchboot? Dem geht es gut, keinen Schaden genommen. Puh. Schlauchboote sind eben doch was tolles…
Ich habe noch gar nicht wirklich gemerkt das es mit dem Schleusen angefangen hat als sich die Tore wieder öffnen. Wie? Das war alles? Reinfahren, festmachen, losmachen, rausfahren?
Mit rasendem Herzen fahre ich durchs Schleusentor. Gleich…..
Doch zunächst finde ich mich im Vorhafen wieder. Hier könnte ich nun in Ruhe meine Segel setzen und die Fender einholen. Allerdings mag ich erst einmal unter Motor raus. Mir wurde gesagt das ich vor dem Vorhafen zunächst auf eine grüne Tonne zuhalten muss. Wenn ich da abgetrieben werde, säße ich ganz schnell auf. Also lieber vorsichtig und nur unter Motor als sich auch noch aufs Segeln konzentrieren zu müssen. Und dann auch noch mit zwei Segeln!
Noch bin ich angespannt, mein Blick wandert zwischen Hafenausfahrt und Boje hin- und her. Ich muss sicher gehen das ich eine halbwegs gerade Linie fahre. Würde ich nur die Boje anpeilen würde ich ein Vertreiben nicht bemerken. Dann: Geschafft. Die Boje liegt achtern, ich nehme Kurs Nord.
Ich muss das Cockpit nicht verlassen um Großsegel und Genua zu setzen, alle Leinen sind ins Cockpit gelegt. Auch das erste Reff habe ich vorsorglich bereits im Hafen ins Großsegel eingebunden. Und die Genua rolle ich einfach nur etwa ¾ aus.
Das schnurren des Motors erlischt und BEA ORCA schiebt sich durch das salzige Wasser der Nordsee. Ich werfe einen Blick in Richtung Hooksiel. Da! Eine Rückenflosse. Ich reibe mir die Augen und sehe noch einmal hin. Ja, eindeutig. Eine Rückenflosse. Dunkelgrau oder Schwarz. Was das wohl war? Ein Delphin? Ein Wal?
Egal – ich kann es kaum glauben. Da bin ich gerade fünf Minuten auf dem Meer und habe schon so eine Begegnung! Überglücklich schreie ich meine Begeisterung hinaus.
Ein mir bereits bekanntes und doch immer wieder seltsames Gefühl breitet sich in mir aus. Irgendwie… warm. Ich spüre das ich am richtigen Ort bin. Ich bin zufrieden. Mit mir, mit meinem Leben, mit allem. Mir geht es einfach gut. Und ich komme nicht umhin an BEA zu denken. Ohne sie wäre ich heut nicht hier. All das, was passiert ist, so viele Zufälle… wäre ich nicht hier, ich könnte es kaum glauben.
Mit halbem Wind rauscht BEA ORCA nach Norden. Ich halte mich am rechten Fahrwasserrand. Fahren nach GPS, wohl möglich sogar Plotter oder einer App? Nein. Ich habe zwar eine App auf meinem Smartphone die mir die GPS Koordinaten anzeigen kann. Ansonsten bin ich aber auf meine Papierseekarten angewiesen. Und so hangle ich mich lieber von Tonne zu Tonne. Doch obwohl der Strom gut schiebt, dauert es eine ganze Zeit lang, bis ich Minsener Oog querab habe. Nun muss ich mich entscheiden: Über den – aktuell unbetonnten – Hohen Weg zur Weser? Ich könnte auf Vorwind-Kurs gehen, würde mir ein paar Meilen sparen. Außerdem müsste ich dann nicht so weit raus segeln. Allerdings fehlen die Tonnen und es gibt hier irgendwo eine Untiefe, auf der wohl ganz gerne Grundseen stehen.
Alternativ kann ich noch weiter nach Norden segeln, noch ein ganzes Stück in Richtung Helgoland, dann abdrehen und direkt Kurs auf die Elbmündung nehmen.
Schließlich hole ich tief Luft und treffe eine Entscheidung. Noch ahne ich nicht, das es die Falsche ist – und welche Folgen sie haben wird.
„Das Erste Mal“ – ich war noch nie auf See segeln. Habe kaum Erfahrung mit Kleinkreuzern oder gar Yachten – und erst recht nicht Einhand. Das Boot ist neu. Und als wäre das noch nicht genug warten noch ein paar Überraschungen auf mich während meines ersten Törns mit BEA ORCA.
Das war der erste Teil des Dreiteilers. Es folgen in den nächsten zwei Wochen:
Seekrankheit und andere Probleme
Probleme mit dem Motor und die Folgen
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Hach, wie cool! Ich bin nächste Woche zum ersten Mal auf einem Segelboot auf offener See unterwegs und genauso aufgeregt wie Du! Dabei muss ich gar nichts machen, nur zuschauen, weil ein Skipper die Arbeit erledigt. Ich wünsche Dir viel Spaß und alles Gute!
Tatsächlich? Hach, das ist ja lustig 🙂 Nun, ich musste ja schon ein klein wenig machen – halt Einhandsegler (also alleine). Magst du einen gefallen tun? Wenn du auf deinem Blog was über dein erstes Mal veröffentlichst – lässt du es mich wissen? Würde mich sehr interessieren.
Viele Grüße,
Sebastian
PS: Gut das Teil 2 und 3 noch nicht draußen sind. Sonst würdest du es dir wohlmöglich anders überlegen 😀