Seekrankheit und andere Probleme

Schließlich drücke ich die Pinne von mir Weg und wir fallen ab. Neuer Kurs: Ost. Es geht über den Hohen Weg. Prinzipiell kein Problem, wären da nicht die fehlenden Bojen. Ich fahre faktisch Blind. GPS habe ich nur auf dem Smartphone und auch da bekomme ich nur auf Knopfdruck die aktuelle Position angezeigt. Prinzipiell könnte ich meine Position via Kreuzpeilung bestimmen, doch was sollte ich peilen? Den Leuchtturm und Minsener Oog? Mal abgesehen das Minsener Oog als ganzes deutlich zu groß für eine Peilung ist: Ich könnte letztlich doch nur schätzen, denn ich habe keinen Bleistift im Cockpit.

Und so entscheide ich mich für eine dritte Möglichkeit. Zunächst einmal Koppel ich grob. Ich weiß wo ich das Fahrwasser verlassen habe und mit welchem Kurs. Wenn ich nicht zu stark versetzt werde sollte ich gut an der Untiefe vorbei kommen. Allerdings ist mir das nicht genau genug. Denn was wenn ich versetzt werde? Ich wäre plötzlich über der Untiefe, hätte mit Grundseen zutun.

Das gilt es zu verhindern. Zum einen halte ich nach verräterischen weißen Wellen Ausschau. Zum anderen wandert mein Blick ständig zum Lot. Sollte der Wasserstand deutlich unter zwei Meter fallen bin ich zu nah dran – dann werde ich notfalls eben um 180 Grad wenden.

Obwohl ich mich konzentrieren muss genieße ich es. BEA ORCA läuft gut. Ein wenig überrascht mich der Kurs, ich hatte einen klaren Vorwindkurs erwartet, doch der Wind kommt etwas nördlicher als bisher angenommen und so laufen wir Raumschots in Richtung Außenweser.

Die Zeit verstreicht und ich nähere mich dem Fahrwasser der Weser. Ob ich an der Untiefe schon vorbei bin? Wenn nicht muss sie ganz in der Nähe sein. Plötzlich beginnen die Zahlen auf dem Echolot rapide zu sinken.

2,0

1,9

1,8

1,5

1,3

Zeitgleich sehe ich, etwa einhundert Meter voraus weiße Brecher, die sich hörbar krachend auf der Sandbank schlagen. Eine wüste See, vermutlich Grundseen – nix wie weg. Ich luve an, fahre eine Halse und starte gleichzeitig den Motor. Sicher ist sicher – erstmal heißt es jetzt Raum gut machen und dann einen Weg außen rum finden. Nach etwa einer Minute und einer Wende bücke ich mich nach vorne und schalte den Motor wieder aus. Ich befinde mich auf einem sicheren Südwestkurs. Noch ein, zwei Minuten halte ich ihn bei, entferne mich von der Sandbank bevor ich erneut nach Osten segle. Dabei behalte ich die mit weißen Schaumkronen besetzten Brecher im Auge. Da muss ich außen rum – dann habe ich es geschafft. Die Alternative wäre zurück auf die Jade und nach Hooksiel. Aber warum? Ich weiß jetzt wo die für uns gefährliche Sandbank ist. Drum herum sollte das Wasser überall tief genug sein, alle anderen Untiefen sind weit genug entfernt um keinerlei Gefahr darzustellen. Trotzdem atme ich auf als ich das Fahrwasser der Jade erreicht habe und etwa auf Nordost-Kurs gehe.

Erstaunt sehe ich mich um. Zum einen: Ich bin schon ziemlich weit draußen! Das hatte ich gar nicht so mitbekommen. Bis Minsener Oog war das Land ja immer irgendwie in der Nähe. Danach war ich mit dem – nennen wir es mal Navigieren – beschäftigt. Und jetzt? Jetzt bin ich plötzlich hier draußen! Land sehe ich nur noch als Schatten am Horizont. Einzig drei Leuchttürme – zwei vor und einer hinter mir – sowie eine Plattform im Süden heben sich von dem Blau der See ab. Schiffe gibt es hier weit weniger als erwartet. Ich habe viel Platz, nur eine Hand voll dieser riesigen Tanker sind zu sehen.

Doch dafür mag es noch einen anderen Grund geben. Ich finde mich plötzlich in einer hohen, mich fordernden See wieder. Wellen türmen sich auf wie ich sie noch nie erlebt habe. Immer wieder arbeitet sich BEA ORCA die Wellenberge hoch und schießt anschließend in die Täler. Ausschließlich auf den Bergen kann ich Ausschau nach anderen Schiffen halten, in den Wellentälern sehe ich nur Wasser. Hoch türmt es sich zu allen Seiten auf.

Drei, vielleicht vier Meter schätze ich die Wellen. Ob es stimmt? Ich weiß es nicht. Doch alleine die Tatsache das ich den Horizont im Wellental nicht mehr sehe ist beweiß genug, das sie nicht eben klein sind. Denn bedenke ich meine Körpergröße sowie den Abstand zwischen meinen Füßen und der Wasserlinie so sind meine Augen sicherlich in etwa 2,5 Meter Höhe.

Etwas grummelt. Mein Magen. Werde ich etwa Seekrank?

Schnell setze ich mich wieder hin. Den Rücken an die Rückenlehne, die Beine an die gegenüberliegende Cockpitbank gedrückt und mit dem Linken Arm am Boot festklammernd geht es weiter. So sehr ich es auch genieße hier zu sein: Mir geht es elend. Es ist als würde alle Kraft aus den Muskeln gesaugt, ich fühle mich schwach. Und der Magen? Der Magen grummelt, macht mir sorgen. Mit blassem Gesicht sehe ich nach Osten. Wie weit es wohl noch ist bis ich die Weser verlassen habe? Ich halte Kurs auf den Nördlichen Leuchtturm – spätestens dort sollten sich die Wellen wieder beruhigen. Wie kommt es hier zu den hohen Wellen? Zugegeben, hier wehen Böen von bis zu sechs Windstärken. Aber das alleine kann doch nicht so eine See verursachen! Oder?

Doch dann dämmert es mir. Wir haben auf der Weser noch ablaufendes Wasser, das gegen den Nordwester anläuft. Vermutlich ist genau das hier der Grund, warum man immer vor Wind gegen Strom gewarnt wird – denn diese steilen, hohen Wellen sind sicherlich auch für jene Segler, die nicht Seekrank werden kein Spaß.

Der Wellenberg ist fast erklommen...

Die Wellen zu fotografieren erweist sich als unmöglich….

Plötzlich krampft sich etwas in mir zusammen und ich haste nach Lee. Gerade so schaffe ich es noch mit dem Kopf über Bord als ich mich erbreche.

Unter mir rauscht das Wasser vorbei und mir wird ganz seltsam.

Nicht schlecht, nein, eher… gut?

Zurück auf Luv schüttle ich den Kopf. Was soll das denn bitte bedeuten? Da hört man alles mögliche – von Diäten über Medikamente, Bänder und Naturheilmitteln gegen Seekrankheit. Dabei geht es mir, kaum habe ich mich übergeben wieder viel besser! Statt mich nun erstrecht kraftlos zu fühlen merke ich, wie etwas Kraft den Weg zurück in meine Muskeln findet.
Seekrank?

Egal. Kotzen, abwischen, weitersegeln.

Die Segelrebellen haben recht. Jetzt verstehe ich’s. Also, weiter geht’s.

Die nächste halbe Stunde geht es mir besser. Zwar merke ich noch immer ein leicht ungutes Gefühl in der Magengegend und klammere mich nach wie vor an den Rumpf meines Bootes, doch ansonsten geht es mir gut. Dieses Kraftlose, elende Gefühl ist verschwunden. Doch je näher ich den Nordergründen komme, desto höher werden wie Wellen. Oder werden sie vielleicht einfach nur steiler?

Dieses mal merke ich früher was kommt. Wie in Zeitlupe stehe ich auf, gehe gemächlich nach Lee und beuge mich übers Wasser. Unnötig, wie sich zeigt. Zwar würge ich ein paar Sekunden, doch das war es – der Magen ist leer, ausgekotzt. Trotzdem geht es mich nun noch besser und schon kurze Zeit später haben sich die Wellen, und mit ihnen die Seekrankheit beruhigt.

Gespannt freue ich mich auf das nächste Seestück. Es geht über die Nordergründe zur Außenelbe. Dabei gibt es für mich zwei Dinge zu beachten. Zum einen wäre es, dass ich mal wieder keine Bojen habe die mir den Weg weißen könnten. Ich segle fernab der Fahrwasser.

Der erste Leuchtturm an dem ich ganz nahe vorbei segle...

Der erste Leuchtturm an dem ich ganz nahe vorbei segle…

Zum anderen ist da Scharhörn. Ich darf der See um Scharhörn nicht zu nahe kommen. Einerseits ist es Naturschutzgebiet – was ja schon Grund genug wäre. Viel wichtiger erscheint mir aber, das es in dem Gebiet sehr flach wird – mit entsprechenden (Grund)seen. Und so segle, kaum habe ich den Leuchtturm hinter mir gelassen in Richtung Nordost.

Die See lullt mich ein. Es ist wunderschön hier. Am Horizont sehe ich die schemenhafte gestallt einiger Ozeantanker, achtern erstrecken sich zwei schnell kleiner werdende Leuchttürme und eine Bohrplattform. Ansonsten sehe ich nur blau. BEA ORCA wiegt sich leicht in den Wellen, nur in den teils heftigen Böen hat sie eine Krängung von mehr als 10 Grad. Trotz des Windes ist es bullig warm, die Sonne knallt vom blauen Himmel auf meine Haut und heizt mich auf. Mein Hut, den einzigen Schutz gegen die Sonne die ich an Bord habe, liegt gut verstaut im Vorschiff. Ebenso gut könnte er aber auch an Land liegen, denn auch der Pinnenpilot liegt in der Kajüte und BEA ORCA einfach so laufen zu lassen traue ich mich nicht.

Glückselig lächelnd sehe ich gen Horizont, genieße die Bewegungen des Schiffes, das Salz in meiner Nase und das mich vollends umgebende Blau.

Blau. Ich beginne zu glauben, das man diese Farbe nur hier, weit draußen auf See, wo man das Land nicht mehr sehen kann, so richtig zu erfassen vermag.

Eingelullt von der Hitze und den Glücksgefühlen klappen meine Augen immer öfter zu. Es ist so…

Erschrocken schüttle ich den Kopf. Ich darf nicht einschlafen! Zugegeben, spätestens die nächste Böe würde mich wieder wecken. Trotzdem! Ich segle hier in einem anspruchsvollen Seegebiet, halte Kurs auf eine der vermutlich meist genutzten Wasserstraßen der Welt. Hier schläft man nicht!

Eilig greife ich zur bereitliegenden Wasserflasche und trinke ein paar Schlücke. Ich bin schon lange auf dem Wasser, eigentlich hatte ich geplant um diese Zeit schon in Cuxhaven zu sein. Es durchzuckt mich. Ich bin spät dran. Was soll ich machen? Vielleicht ins Watt einlaufen? Neuwerk ist nur etwa halb so weit entfernt wie Cuxhaven. Von dort könnte ich morgen nach Cuxhaven segeln. Eine reizvolle Variante. Und doch… nein

Ich wurde vor dem Seegebiet gewarnt. Der Weg von hier nach Neuwerk soll bei mehr als vier Windstärken ungemütlich bis unmöglich sein. Ob das stimmt? Ich weiß es nicht, bin aber nicht bereit es zu riskieren. Und noch habe ich ja ein paar Stunden zeit bevor die Tide wieder kippt. Wenn ich bald auf der Außenelbe bin und der Strom entsprechend schiebt sollte es nicht mehr lange dauern bis ich in Cuxhaven bin.

Aber – wo ist die Außenelbe? Gefühlsmäßig hatte ich erwartet schon längst dort zu sein.

Noch eine viertel Stunde halte ich den Kurs, suche immer wieder mit den Fernglas nach Bojen. Zwar finde ich welche, doch für eine Identifikation sind sie zu weit entfernt.

Schließlich packe ich das Smartphone aus und starte das GPS.

Schnell ist mein Fehler klar: Ich bin zu weit nach norden gesegelt. Statt weiter auf Nordostkurs zu segeln geht es nun direkt nach Osten in Richtung des Elbfahrwassers. Zehn Minuten später kontrolliere ich noch mal meinen Kurs über Grund mit dem GPS, dann verschwindet das Handy wieder. Und es dauert nicht mehr lange, dann erreichen BEA ORCA und ich die ersten Bojen des Elbfahrwasser. Ab sofort kann ich wieder auf Sicht segeln.

Ich überschlage die Strecke, schätze das Tempo (das Log funktioniert schon den ganzen Tag nicht), schlage noch ein paar Knoten vom Strom drauf (immerhin sind es ja noch zwei Stunden bis Hochwasser) und schätze, kurz Nach Hochwasser, so gegen 18.00 Uhr spätestens da zu sein. Vielleicht auch schon kurz davor, so gegen 17.00 Uhr – wenn die Tide gut schiebt.

Doch als mich kurz darauf mehrere Segelboote überholen die alle ihren Motor laufen lassen werde ich unsicher. War da nicht was mit dem Strom? Begann das Wasser nicht schon vor Hochwasser abzulaufen? In der Hitze fällt es mir schwer klare Gedanken zu fassen und ich beschließe es ihnen gleich zu tun. Dieses ist genug im Tank und lieber habe ich ohne Grund den Motor genutzt, bin früher in Cuxhaven als am Ende gegen den Strom zu bolzen.

Ich drücke auf den Startknopf, der Motor beginnt zu schnurren. Doch etwas ist anders. Ein Blick nach Hinten zeigt: Der Motor spuckt nicht, kein Wasser kommt aus dem Auspuff. Ein, zwei Sekunden starre ich wie erstarrt auf den Auspuff, dann handle ich. Mit einem Zug stoppe ich den Motor. Hoffentlich war es nicht schon zu lange. Denn ohne Kühlwasser, da bin selbst ich als absoluter Laie mir sicher, hält der Motor nicht lange durch.

Nachdem der Motor verstummt ist beginnt mein Hirn zu rattern. Was jetzt? Selbst wenn ich unter Segel noch rechtzeitig nach Cuxhaven komme. Was dann? Für mich bedeutet Anlegen ohne Motor mit so einem großen und schweren Boot ja schon Stress. Soll ich das etwa unter Segel vollbringen?

 

„Das Erste Mal“ – ich war noch nie auf See segeln. Habe kaum Erfahrung mit Kleinkreuzern oder gar Yachten – und erst recht nicht Einhand. Das Boot ist neu. Und als wäre das noch nicht genug warten noch ein paar Überraschungen auf Mich während meines ersten Törns mit BEA ORCA.

Das war der zweite Teil des Dreiteilers

Zum ersten Teil „Das erste Mal“

Es folgt: Probleme mit dem Motor und die Folgen

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Sebastian

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