Vorsichtig laufe ich über die Stege. Ein strenger Wind pustet durch den Hafen, stürmische Böen peitschen selbst bei Niedrigwasser durch den Priel. Der Wetterdienst warnt vor Böen mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde. Es ist mein erster Sturm an Bord. Eis, Schnee – ja, das hatte ich schon. Aber Sturm?
Im vorbeigehen sehe ich, wie sich die Masten einiger größeren Yachten leicht im Wind wiegen. Sieht eigentlich ganz harmlos aus. Und, zugegeben: Das Wasser im Hafen liegt da noch recht ruhig. Eine kleine Welle hat sich gebildet, doch müsste man ihre Höhe noch immer in wenigen Zentimetern angeben. Ich schätze fünf – vielleicht auch weniger.
Dann habe ich Bea Orca erreicht. Auch sie scheint recht ruhig zu liegen. Zwar ist sie deutlich sichtbar in Bewegung, doch ist kein Rucken und kein Zerren an den Leinen zu erkennen. Und auch das Schwanken hält sich in Grenzen. Mit Sicherheit deutlich unter fünf Grad auf jede Seite – harmlos.
Vorsichtig betrete ich den Finger an dem Bea Orca liegt. Über dieses schmale Stück Steg, vielleicht vierzig Zentimeter breit, komme ich zum Cockpit. Eine Böe knallt durch den Hafen.
Aufpassen, Sebastian!
Eigentlich ist alles ganz harmlos. Zwar bewegt sich der Steg doch deutlich in der Mini-Welle, mein Schritt aber ist sicher. Einzig meine Aufregung könnte zur Gefahr werden. Denn bei den aktuellen Wassertemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt darf ich hier einfach nicht stürzen.
Das verrückte dabei: Letztes Jahr, mit Liegeplatz in einem anderen Hafen, hatte ich regelmäßig deutlich unruhigere Stege! Sei es Schwell von der Außenelbe oder von großen Schiffen, die in den Industriehafen eingelaufen sind – die Stege dort sind teilweise richtig auf- und ab gehüpft! Das hier ist…. Kinderkram. Und doch: Jetzt wohne ich hier offiziell, einfach in die Wohnung gehen wenn es ungemütlich wird kommt für mich nicht in Frage. Zwar habe ich die Wohnung wegen Kündigungsfrist noch bis Ende April, doch wenn ich sie nochmal nutzen muss weil ich mich an Bord unwohl fühle, dann kann ich nicht auf meinem Boot leben. Stürme, ja sogar Orkane gehören hier Oben eben zum Wetterbild dazu.
Ein letzter Schritt, dann bin ich im Cockpit. Alles ist gut. Bea Orca liegt ruhig da, wiegt sich sanft in der Welle. Da ist auf einem Baggersee bei drei Windstärken mehr Welle – und mehr Bewegung in den Booten. Ein Blick auf den Krängungsmesser. Die Bewegung ist so geringfügig, dass sich die Nadel praktisch nicht bewegt.
Das Schloss öffnet sich. Eilig klettere ich ins Boot, verschließe die Schotten hinter mir. Nur nicht unnötig kalte Luft ins Boot lassen.
Im Boot ist mein Stand sicher. Bestenfalls ein leichtes Wiegen. Irgend etwas in mir Spürt die Bewegung des Bootes, auf meine eigene Bewegung scheint es aber keinen Einfluss zu haben. Ich entspannte mich. Alles gut. Ich bin an Bord, fühle mich wohl wie immer. Der Kocher wird angeschmissen, ein Tee gekocht. Auch ohne Kardenik und Topfhalter kein Problem.
Mit einem breiten Lächeln im Gesicht mache ich es mir bequem. Meine Nervosität? Als hätte es sie nie gegeben. Das hier ist mein Zuhause. Und das ganz sanfte schwanken? Nicht unangenehm. Ganz im Gegenteil: Entspannend. Vielleicht sogar ein kleines bisschen einschläfernd.
Erneut schmettert eine Sturmböe durch den Hafen. Kurz neigt sich Bea Orca zur Seite, fünf, sechs Grad dürften es sein. Bedeutend zu wenig um etwas rutschen zu lassen.
Beim Aufrichten nach der Böe vernehme ich ein dumpfes Poltern. Was war das?
Sofort stehe ich aufrecht, finde mich im Cockpit nieder. Sehe um Bea Orca herum, suchend nach Gegenständen die gegen den Bug gedonnert sein könnten. Doch es ist nichts zu sehen. Also geht es wieder unter Deck. Als erstes kontrolliere ich das Schrankfach mit dem Seeventil meines Waschbeckens. Das Poltern kam eindeutig von rechts. Und da ich mit Blick zum Heck am Tisch sitze, muss es von Backbord gekommen sein.
Das Seeventil ist dicht, nicht das kleinste bisschen Feuchtigkeit lässt sich ertasten. Gut. Nach und nach öffne ich jedes Fach. Alles in seiner Position.
Was war das für ein Geräusch?
Erneut beugt sich Bea Orca einer Böe. Und erneut erklingt beim Aufrichten ein dumpfes Poltern. Als würde etwas gegen den Rumpf donnern.
Die Suche beginnt von neuem – Ergebnislos.
Einige Minuten später: Erneut poltert es. Ich bleibe sitzen. Solange mir kein Geistesblitz kommt sehe ich wenig Sinn…
Kopfschüttelnd springe ich auf, laufe ins Cockpit. Natürlich! Wie hatte ich nur so blind sein können!
Es konnte gar nichts auf Backbord im Wasser schwimmend gegen den Rumpf schlagen. Der Wind kommt von Steuerbord, alles was dort im Wasser treiben könnte würde weggepustet werden. Allerdings habe ich zwei Fender außen hängen. Und die – ja, die schlagen jedes Mal, wenn sich Bea Orca nach einer Böe wieder aufrichtet gegen den Rumpf!
Nicht schlimm für den Rumpf – das sind keine großen Kräfte und letztlich ist es ja sogar die Aufgabe eines Fenders Druck vom Rumpf abzuhalten. Aber im Inneren unglaublich nervig.
Kurzerhand hole ich die Fender hoch, lege sie auf die andere Seite der Reeling. Was soll’s. Sowohl Bea Orca als auch das Motorboot neben ihr sind gut festgemacht. Die Fender hatte ich nur rausgehängt für den Fall, dass das Boot daneben ablegt und wieder kommt. Aber im Winter – und dann bei so einem Wetter? Bestimmt nicht.
In der nächsten Böe ertönt kein Poltern mehr. Oben tobt Starkwind und Sturm, doch hier, an Bord von Bea Orca im Hafen, ist alles entspannt. Mir geht es gut, ich bin glücklich. Musik läuft, das Fauchen und Heulen des Windes übertönend.
Als ich am Abend ein letztes Mal an Land gehe pfeift, gerade als ich die Steckschotten herausgezogen habe, eine Böe durch den Hafen.
Wusch.
Es fühlt sich an als wäre ein schnelles Auto an einem vorbei gefahren.
Wieder auf dem Steg ist von der Nervosität, die mich vor wenigen Stunden noch beherrscht hatte nichts mehr zu spüren. Vorsicht? Klar. Ich bin aktuell immer vorsichtig, wenn ich über die Stege laufe. Aber Nervosität? Nein.
Bald darauf liege ich in der Koje, versuche zu schlafen. Der Wind heult und pfeift im Rigg. Ob es mir wohl gelingen wird zu schlafen?
Jetzt, wo die Musik aus ist fällt mir ein neues Geräusch auf. Immerhin: Ich kann es sofort zuordnen. Da schlägt eine Leine gegen den Mast. Ich wette auf die Dirk. Wenn bei mir eine Leine an den Mast schlägt, so ist es stets die Dirk. Doch tut sie dies nur in Böen. Halb so wild – oder?
Ich drehe mich um, schließe die Augen und versuche zu schlafen.
Ding Ding Ding.
Grr… Einen Arm übers Ohr versuche ich dieses nervige Geräusch auszublenden. Ich liege schon so bequem unter meiner Decke. Bin schon in der Koje. Aufstehen? Will ich nicht!
Doch schließlich wird es mir zu doof. Immer dann, wenn ich fast eingeschlafen bin, reißt mich die Dirk aus dem Dämmerschlaf.
Schließlich geht’s mit Hausschuhen, Unterhose und T-Shirt raus in den Sturm und an Deck. Alles egal – hauptsache dieses Geräusch hört auf!
Ich Schnappe mir das Ende der belegten Dirk und nutze es, um sie schräg am Rigg zu verzurren. Mit der Hand versuche ich sie gegen den Mast zu schlagen. Vergeblich.
Wusch.
Erneut pfeift eine Böe durch den Hafen. Nichts zu sehen, nichts zu hören.
Mittlerweile zittere ich, eine Gänsehaut hat sich gebildet. Kein Wunder: Ich stehe hier mit Schlafenskleidung im Winter bei Sturm in der Nacht an Deck. Aber vielleicht gehört auch das zum Leben an Bord…
…oder ist eben ein Resultat meiner Faulheit. Immerhin hätte ich mich schon vorsorglich um die Dirk kümmern können. Wie auch immer.
Ich ziehe die Steckschotten aus dem Niedergang, steige in den Salon und verschließe den Eingang hinter mir. Hach, wie warm es im Boot doch ist. Die Lampen erlöschen und ich verhole mich in die kuschlig warme Koje. Eine Wohltat.
Kaum ist auch das letzte Licht aus und ich unter der Decke verschwunden, da klappen meine Äugelein zu. Ich schlafe ein. Aufwachen sollte ich erst, als der Wecker am nächsten Morgen bimmelt. Das heulen des Windes im Rigg stört mich nicht mehr, ohne die klappernde Dirk ist es fast schon zu einem melodischen Gesang der Natur geworden.
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Lieber Sebastian,
ein toller Blog, vielen Dank! Ich mag Deinen Schreibstil, kann mich an viele Dinge zurück erinnern, damals als ich auf mein Boot gezogen bin…
Das ist jetzt 5 Jahre her, ich bereue keine Sekunde, im Gegenteil: wohl eine der besten Entscheidungen meines Lebens gewesen.
Geht dir mit ein wenig Abstand bestimmt genauso. Ich bin sicher, dass Typen wie Du PRÄDESTINIERTE Bootsbewohner sind: da passt einfach die innere Einstellung, die Haltung, der Blick aufs Leben…
Mach weiter so, ich freue mich echt immer über jede Mail, dass es einen neuen Blogeintrag gibt!
Danke, Grüße aus Berlin! Jakob
Hallo Jakob,
es freut mich sehr wenn es etwas in dir berührt. 🙂 Wohnst du noch auf dem Boot?
Und natürlich werde ich weiter machen. 😀
Viele Grüße,
Sebastian