Wohnungs- aber nicht Obdachlos. Von dem Gefühl zu fliegen.

Es ist Freitag, der 28.04.2017, 14.00 Uhr. Noch eine Stunde. Dann ist Wohnungsübergabe. Meine einzigen Sitzmöglichkeiten sind das Klo und die Badewanne. Irgendwie bin ich viel zu früh da. Erst um drei Uhr kommt der Vermieter, nimmt die Wohnung ab. Warum bin ich nochmal so früh hier?

Etwa gelangweilt aber doch innerlich angespannt schnappe ich mir mein Smartphone, surfe ein wenig im Internet. Dann packe ich es wieder weg. Bringt nix,  kann mich nicht ablenken. Also nehme ich mir die Kamera. Mache ein paar Bilder. Von der leeren Wohnung, den Zustand dokumentieren. Dann noch ein paar Bilder von der Aussicht. Diese ist wirklich gut. Ich habe vom hinteren Zimmer das ich als Wohnzimmer genutzt habe eine weite Aussicht über ein Wohngebiet – und darüber hinaus. Ein Vorteil davon weit oben zu wohnen. Und doch, verglichen mit der Aussicht im Hafen… Es ist einfach etwas komplett andere.

Ob ich die Wohnung wohl vermissen werde? Wie wird es sein – so ohne Netz und doppelten Boden?

Erneut setze ich mich, fange an zu lesen. Es sind noch mehr als dreißig Minuten bis drei Uhr. Ich bin viel zu früh dran. Aber was soll man machen – jetzt macht es nicht Mals mehr Sinn einen Spaziergang ans Meer zu machen. Denn bald ist ja die Übergabe. Die letzten Minuten vergehen schleppend. Ich bin ungeduldig. Aufgeregt. In einer Stunde werde ich Wohnungslos sein. Wie es wohl laufen wird? Ich habe meine Wohnung nach bestem Wissen und Gewissen vorbereitet. Trotzdem… wird es Probleme geben? Und wenn ja – wie Groß werden sie sein?

Erneut fange ich an zu lesen. Das Rätsel der Sandbank. Ein Geschenk eines Lesers. Endlich komme ich dazu. Ein tolles Buch. Spannend, Lustig, gut geschrieben… es gefällt mir richtig gut.

Dann ist es endlich so weit. Um drei Uhr klingelt mein Telefon, der Vermieter fragt ob ich schon da bin.

Na Klar!

Leere Wohnung…

Keine fünf Minuten später steht er in der Wohnung. Sieht sich um. Nimmt alles in Augenschein. Füllt ein paar Zettel aus. Dann: Alles ist gut. Die Zählerstände werden noch abgelesen, ich unterschreibe die Dokumente. Und gebe die Schlüssel ab. Das war’s. Die Wohnung ist weg. Also eigentlich ist sie noch da, aber…: Ich komme nicht mehr rein. Als die Haustür hinter mir zufällt könnte ich sie nicht mehr öffnen. Aber: Warum sollte ich auch? Ich habe nichts mehr in der Wohnung. Auch den Briefkasten habe ich vorhin ein letztes mal überprüft. Der Nachsendeauftrag ist gestellt. Was sollte ich hier noch wollen?

Ich gebe mir einen Ruck, steige auf meinen Drahtesel und trete in die Pedale. Es geht nach Hause.

Home sweet Home

Vor Bea Orca bleibe ich stehen. Tatsächlich. Dies ist mein Zuhause. Jetzt irgendwie doch noch einmal ein Stück mehr als zuvor. Es ist… anders. Ja, doch. Bis vor einer halben Stunde hatte ich immer noch eine Wohnung in der Hinterhand. Nicht das ich sie noch genutzt hätte. Nein, im Gegenteil: Sie hat genervt. Und doch, da war immer noch dieses Sicherheitsnetz. Wäre etwas gewesen, hätte ich nicht mehr an Bord leben wollen… ich hätte in die Wohnung gehen können. Jetzt ist da keine Netz mehr, kein doppelter Boden, keine Sicherheitsleine. Jetzt sind da nur noch mein 22 Fuß Kleinkreuzer, Bea Orca – und ich. Meine Große – mein Zuhause. Zärtlich streichen meine Finger über das GFK. Was für ein tolles Boot. Ich lächle.

Ich merke das etwas weg ist. Das Netz ist weg. Das fühle ich. Ich befinde mich in der Luft. Doch ich falle nicht. Nein, dieses Gefühl ist kein Fallen, da ist kein Untergrund auf den ich bald aufschlage. Nein, das hier ist etwas anderes: Ich habe meine Flügel ausgebreitet und fliege. Ich fliege. Noch im Cockpit beginne ich ein kleines Tänzchen hinzulegen. Das keine Musik läuft, stört dabei nicht weiter. Ich fühle mich großartig, bin frei. Es ist einfach herrlich. Dies ist mein – MEIN! – Zuhause. Hier gehöre ich hin. Und endlich, nach dreieinhalb Monaten, gibt es keine Wohnung mehr im Hintergrund um die ich mich kümmern muss. Es ist als würde eine große Last von der ich gar nicht wusste das ich sie Tragen endlich von meinen Schultern genommen. Alles was ich brauche ist hier. Alles was mich glücklich macht ist hier. Und vor allem: Hier bin ich endlich einfach nur ich.

Die Steckschoten werde herausgezogen, ich steige den Niedergang hinab. Blicke mich um. Alles ist gut. Alles ist da. Alles passt.

Ich bin zuhause.

Ich bin da, wo ich hin gehöre.

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Sebastian

5 Kommentare

  1. ich habe auch 10 jahre auf meinem segelboot gelebt. davon 2 jahre ostsee, 3 jahre mittelmeer und 5 jahre mit selbst verdientem geld um die welt, einmal rundherum. ich habe keinen frust. bin einfach nur realist…mach´ weiter so sebastian. in einigen jahren, wenn du darin quasi profi bist, wirst du auch über deine anfänge grinsen, wie ich über meine übrigens auch. hoffentlich sicherst du deinen blog auf ein langzeitmedium, am besten in einem buch. dann kannst du in 20 jahren alles wieder nachlesen…..

  2. Jeder, der sich ernsthaft mit dem Thema beschäftig, und zu ein wenig Empathie befähigt ist, weiss wie mutig der Schritt ist.
    Top!

  3. Moin Basti. Alles richtigt gemacht. Wer nicht wag bleibt halt zu Haus. Du bist jung ,also zieh das durch.
    Gruß Oli

  4. ja, soweit ok…..allerdings keine heldentat. schon morgen hättest du bei bedarf wieder eine neue wohnung an land. im zweifelsfall bei mutti…unter: „Jetzt ist da keine Netz mehr, kein doppelter Boden, keine Sicherheitsleine“, verstehe ich etwas anderes…

    • Also bei meinen Eltern wäre keine Option – da hätte ich einen Arbeitsweg von etwa 700 Kilometern – einfache Strecke. Und mal ehrlich: Ich beschreibe hier auf meinem Blog mein persönliches Gefühl. Natürlich kann ich mir wenn es sein müsste ein Zimmer hier in Cuxhaven nehmen. Je nach Jahreszeit zwar arschteuer, aber möglich. Und auch eine Mietswohnung wäre möglich. Nur: Diese Option hat faktisch jeder Deutsche. Auch wenn man auf Langfahrt geht und alles den Bach runter geht hilft einem notfalls der Staat… oder eben die Familie…
      Der Punkt ist nur der: Ich kann eben nicht einfach so in eine Wohnung gehen wenn mir etwas nicht mehr passsen würde. Die müsste erst gefunden werden. Entweder eine Ferienwohnung – sehr teuer. Oder aber eine normale Mietswohnung – die dann auch erstmal eingerichtet werden müsste… verglichen mit zuvor ist es alo durchaus ohne Netz und doppelten Boden…
      Aber hey. Wenn es dir besser damit geht hier deinen Frust abzuladen – nur zu 🙂
      Viele Grüße,
      Sebastian

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