Unerwünschte Bescherung: Ein Rigg fällt in mein Rigg

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Stell dir vor, du hattest Geburtstag und sitzt mit deinen Eltern bei dir Zuhause am Tisch beim Kaffee. Plötzlich gibt es einen Schlag, alles steht schräg. Du weißt sofort: Da ist etwas passiert. Bei einem Blick nach draußen stellst du fest, dass der Strommast neben deinem Haus um- und auf dein Haus gestürzt ist.

Was sich wie der Anfang eines verdammt schlechten Witzes anhört ist mir tatsächlich so ähnlich passiert. Allerdings ist mein Zuhause ein 6,7 Meter langes Segelboot – und der Strommast das Rigg, also der Mast und einige Drähte eines anderen Bootes. Aber von Anfang.

Es war Freitag, der 12. Mai 2017. Am Mittwoch hatte ich meinen vierundzwanzigsten Geburtstag, gestern Abend waren meine Eltern aus Rheinland-Pfalz angereist. Es war etwa vierzehn Uhr und wir saßen Gemütlich bei mir an Bord beim Kuchen. Ich hatte gut gebacken für Arbeit und die „Reste“ (Insgesamt immernoch knapp zwei Kuchen) sowie einen leckeren Kuchen den meine Mama gebacken hat stehen auf dem Tisch. Die Stimmung ist gut, wir unterhalten uns über verschiedenste Sachen. Ich merke das ich mich langsam einem toten Punkt nähere. Irgendwie bin ich kaputt. Auf dem Boot das gleich neben meinem liegt ist eine Familie mit arbeiten beschäftigt. So wie es aussieht spannen sie die Wanten nach. Nun, sicher keine Schlechte Idee. Das gleiche habe ich erst vor wenigen Tagen gemacht. Meine waren viel zu locker!

Doch meine Eltern sind da – und auf dem Nachbarboot springen genug Menschen herum. Und so wende ich mich wieder meinen Eltern und unserem Gespräch zu.

Kuchen & Geschenke. Ich hatte Geburtstag! (Bild vom Vorabend)

Plötzlich gibt es einen lauten Schlag. Bea Orca steht schräg, schiebt mehr Lage als hart am Wind. Über zwanzig, vielleicht auch dreißig Grad liegt sie schräg. Einige Sachen beginnen zu rutschen.

Wie vom Blitz getroffen springe ich auf. Der Müde Punkt? Verpufft. In Rekordgeschwindigkeit stehe ich im Cockpit. Was ich da sehe… ich will es erst gar nicht glauben. Das Rigg des Nachbarbootes, ein hoher Vollholzmast, ist in Bea Orca gekracht! Nun hängt das Rigg fest, der hölzerne Mast liegt auf dem neuen Segel – ich habe es bisher genau einmal genutzt. Und doch, das Segel ist noch meine geringste Sorge. Was wenn mein Mast bricht? Ein Mastbruch wäre auf Bea Orca nahezu ein Totalschaden. Gut, ich bin Versichert – zum Glück!

Und natürlich, sofern der andere Bootseigner eine hat ginge es eh erstmal auf seine Haftpflicht. Aber wenn nicht… Und sowieso… ich meine… das ist Bea Orca! Das… ich merke wie Panik sich in mir ausbreitet. Versuche tief durch zu atmen.

Auch meine Eltern sind mittlerweile rausgekommen. Langsam werde ich etwas ruhiger. Die Familie auf dem Boot sieht verzweifelt aus und überlegt, wie man das Schlamassel lösen könnte. Der Eigner eines Motorbootes, das ein Stück weiter weg liegt kommt dazu, hilfsbereit. Und jetzt?

Kaum zu glauben aber war…

Schnell wird deutlich, das diese Situation deutlich über dem Können der Anwesenden ist. Ich weiß nicht wie ich mein Boot vor weiteren Schäden schützen kann. Und die anderen eindeutig auch nicht. Ich eile zur nächste Infobox, das Handy in der Hand. Rufe schon mal den Hafenmeister an. Er hat bisher stets einen guten Eindruck auf mich hinterlassen – und sollte es auch wieder tun. Er würde sofort kommen. Allerdings ist er gerade nicht in der Nähe – eine viertel Stunde. Mittlerweile habe ich die Infobox erreicht und schnappe mir eine der Brochüren. Hier steht auch die Nummer der Werft. Sie und der Hafen gehören zusammen. Ich rufe an.

Von der Rezeption erfahre ich, das schon alle im Wochenende sind. Kein Wunder. Es ist Freitag Nachmittag. Wer mag da schon noch arbeiten?

Aber halt! Ich soll doch bitte einen Augenblick warten!

Es dauert vielleicht dreißig Sekunden, dann verspricht man mir das in wenigen Minuten jemand da wäre.

Langsam dringen Worte, die mir mein Vater kaum hatte er gesehen was passiert war gesagt hat in den Kopf: Fotos machen. Ich mache mehrere Fotos mit dem Smartphone. Mein Vater ist unterdes schon dran, macht einige Fotos mit einer deutlich besseren Kamera. Seine oder meine? Ich weiß es nicht – ist auch egal.

Langsam kommt er runter

Nun fällt mein Blick auf das Motorboot das gleich neben Bea Orca liegt. Sollte mein Mast doch noch nachgeben… Bea Orca bekomme ich da jetzt nicht weg. Klar, das Rigg des anderen Bootes hängt ja in ihrem. Aber der Nachbarlieger? Ich will mir gar nicht vorstellen was geschehen würde, würde der schwere Vollholzmast auf das GFK-Deck donnern. Und das Deck ist höher als Bea Orca’s. Sollte beispielsweise mein doppeltes Vorstag raus reißen, der Mast würde ungehemmt auf das Deck des Gleiters donnern. Das wäre dann sicherlich ein großer Schaden. Ja, selbst ein zerschlagen und sinken des Nachbarliegers kann und mag ich nicht außschließen. Sofort stecke ich das Handy weg, eile zu dem Boot. Ich kenne den Eigner zwar nicht, aber der Eigner der in so einer Situation nicht wollen würde das man zu ihm an Bord steigt…

Am liebsten würde ich das Boot in eine andere Box legen. Doch ohne Motor? Kaum möglich. Und so verhole ich es mit den Leinen ans hinterste Ende des Fingersteges. Selbst wenn es ganz doof kommt und der Vollholzmast weiter fällt: Das Motorboot läge außerhalb der Fallzone. Zwar würde dies bedeuten das nun Bea Orca alles abbekäme: Doch sollte es so weit kommen, der Schaden wäre so oder so immens.

Mittlerweile ist jemand von der Werft da. Ein Vollprofi. Er überblickt die Situation, macht ein paar Fotos und erklärt was zu tun ist. Zunächt den Mast unten am anderen Boot sichern. Es ist die einzige Möglichkeit ein wegrutschen zu verhindern. Nun werden Leinen gespannt, Personen eingeteilt. Einer muss das Achterstag, das hinten um Bea Orca herum sich spannt und letztlich das ganze noch hält Lösen. Ein Anderer muss verhindern dass das Rigg in Richtung des angrenzenden Wohnhauses oder sonst wo hin fällt. Die Aufgabe des Restes ist es, das Rigg (kontrolliert) abzusenken – und es somit praktisch zu halten.

Mittlerweile ist auch der Hafenmeister angekommen, drückt mich.

„Das wird schon.“

Mir sind meine sorgen offenbar anzusehen. Oder sie sind schlicht absolut selbstverständlich – immerhin ist das hier mein Zuhause!

Hilfe wenn man sie braucht.

Nun wird langsam das Rigg herab gesenkt. Fast schon sanft wird es abgesenktund letztlich da wo es hin sollte – auf das Deck des Bootes – abgelegt. Man hatte versucht den Mast zu legen – was furchtbar schief gegangen war.

Nun kommt der junge, frischgebackene Bootseigner zu mir, gibt mir seinen Ausweis. Seine Personalien werden aufgeschrieben. Immerhin: Er hat eine Haftpflichtversicherung. Ich hoffe sehr für uns beide das diese, egal wie viel oder wenig es am Ende ist, die Schäden anstandslos bezahlt. Der Chef der Werft sagt mir, ich solle nächste Woche vorbei kommen, dann würde man einen kompletten Rigg-Check machen, überprüfen ob- und wenn ja welche Schäden es gibt. Langsam beruhige ich mich. Das Rigg steht noch. Es sind von unten keine Schäden erkennbar. Das Segel auszurollen traue ich mich nicht. Klar ist: Damit hat sich auch die letzte Überlegung einen Schlag mit meinen Eltern zu segeln erledigt. Die Einzige Strecke die Bea Orca macht bis klar ist das alles okay ist, ist die einmal um die Halbinsel zur Werft.

Es sollte sich zeigen dass das Ganze Glück im Unglück war. Das Segel war nur etwas schmutzig geworden, das eigentliche Rigg hatte keine Schäden davongetragen. Allerdings viel nun auf, dass eben jenes Vorstag, an dem meine Rollgenua sitzt Schwächen aufweist. Es könne jederzeit reißen. Und dabei wollte ich doch schon in wenigen Tagen auf Törn! Selbst kann ich das ganze nicht austauschen. Nicht solange der Mast steht. Und ihn erst legen…. Und so bekam die Werft den Auftrag. Ob wohl tatsächlich alles rechtzeitig fertig werden würde?

Hat’s euch gefallen? Wie findet ihr die Option sich den Beitrag einfach anzuhören? Lasst es mich wissen! Und überhaupt: Habt ihr je davon gehört dass das Rigg eines Bootes in das Rigg eines anderen gefallen ist?

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Sebastian

8 Kommentare

  1. Mensch Sebastian,

    das ging unter die Haut. Gottseidank ging es ja scheinbar glimpflich ab. Kann Dir die Gefühle so gut nachfühlen. Toll geschrieben!

    Liebe Grüße
    Klaus

    • Danke! Ich kann es bis heute noch nicht so ganz glauben. Das ganze war echt Glück im Unglück. Das ein großer Vollholzmast ins eigene Boot fällt und es keinen ernsthaften Schaden gibt…
      Viele Grüße,
      Sebastian

  2. Danke für das Audio. Ich schicke mir solche Wortbeiträge dann gern über huffduffer in meinen Podcast Feed. Etwas kürzerer Name für das Audiofile wäre toll. Vielleicht auch ohne Umlaute? Danke!

  3. Bei uns haben sich mal zwei Segler das Boot eines anderen Seglers für eine Regatta ausgeliehen – dafür haben sie das Rigg mithilfe der Wantenspanner „getrimmt“. Wenn man sich damit nicht auskennt sollte man die Finger davon lassen,das haben die beiden schließlich bewiesen. Während der Regatta flog der Spanner der Luvwante auseinander (bei 2-3 Bft), und der Mast kam runter, wobei der Mastfuß rausgerissen wurde. Die Beiden hatten den Wantenspanner bis auf 1-2 Umdrehungen rausgedreht. Gut das sie in Lee vom Regattafeld fuhren!

    • das… schrecklich. Wie kommt man auf die Idee die Wanten zu lockern – und dann noch so extrem?!

  4. Ein toller Bericht, ich habe ihn mit Genuss und Mitgefühl angehört.
    Gut, dass doch noch alles glimpflich abgegangen ist.
    Jetzt hat ‚Segeln ist Leben‘ auch eine Stimme.
    Danke Sebastian! LG Edda

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