Anker halt doch mal

Der Motor läuft noch und so gebe ich volle Fahrt. Ich bin gerade eben erst auf die Sandbank getrieben – vielleicht schaffe ich es noch runter.

Der Diesel heult auf, die Schraube dreht im Wasser, wirbelt den Sand im recht ruhig daliegenden Wattenmeer auf. Doch Bea Orca steht still. Mit einem stummen knurren auf den Lippen schäle ich mich aus meiner Kleidung. Rettungsweste, Ölzeug, T-Shirt und Hose werden ausgezogen so das ich nackt dastehe. Dann schnell wieder in eine Rettungsweste die ich über eine lange Leine mit dem Boot verbinde, schon klatscht die Badeleiter ins Wasser.

Über ihre Stufen geht es ins Warme Nass, das Wattenmeer heißt mich mit angenehmen Temperaturen willkommen. Nicht das ich es lange genießen wollen würde, die Uhr tickt. Mit zügigen  Schritten geht es um Bea Orca herum bevor ich sie von der Untiefe schiebe. Und gleich noch zehn, zwanzig Meter weiter. Dann geht es schnell zum Heck, die Badeleiter hoch, noch die Sicherungsleine einholen damit sie nicht in die Schraube gelangen kann bevor ich diese sich drehen lasse. Nicht das ich wieder…

Doch es war nicht genug, erneut sitzen wir auf. Schulterzuckend nehme ich den Gang heraus, begebe mich erneut ins Wasser und befreie Bea Orca ein zweites Mal. Dieses Mal bringe ich sie zu Fuß in tieferes Wasser bevor ich mich über die Badeleiter wieder an Bord begebe. So gelingt es uns rechtzeitig Fahrt durch das Wasser zu machen bevor wir erneut stranden können. Ich bringe sie ein Stück weg von der Sandbank. Doch was jetzt? Es gibt keinen anlaufbaren Hafen  in der Nähe. Juist dürfte trockengefallen sein – und zwischen mir und Norderney liegt ein Wattenhoch. Aktuell ist der einzige Weg der mir offen steht der die Osterems raus. Würde ich diesen wählen um nach Norderney zu kommen, ich könnte ebenso gut hier kreisen und auf genug Wasser für das Wattenhoch warten. Beides keine wirklich schöne Option. Besonders da ich morgen einen langen Tag vor mir habe. Doch was jetzt?

Ich beschließe es noch einmal zu versuchen. Und als der Anker nicht hält noch ein zweites, ein drittes und ein viertes Mal. Mittlerweile bin ich bei sechs (oder waren es noch mehr?) erfolglosen Ankerversuchen. Und das mit einem stark überdimensionierten Ankergeschirr bei sandigem Boden und Schwachwind.  Was kann es nur sein?

Ist der Boden vielleicht doch nicht so sandig? Als ich Bea Orca von der Untiefe geschoben habe trug ich Neoprenschlappen – da habe ich das nicht gespürt. Es ist zwar das Wattenmeer, aber wer weiß. Vielleicht habe ich durch einen verrückten Zufall jene Ecke gefunden die nicht sandig ist.

Ich beschließe umzudrehen und den letzten Ankerplatz an dem ich vorbei bin anzulaufen. Ein beschwerliches Unterfangen, die Tide ist mittlerweile gekentert, das Wasser läuft auf – und bremst gewaltig. Für die Strecke die mich auf dem Hinweg keine viertel Stunde gekostet hat brauche ich nun eine knappe Stunde. Mittlerweile habe ich die Schnauze voll, will endlich den Tag beenden. Und so bin ich froh als ich schließlich den Sicherungsstift löse und der Anker langsam gen  Meeresgrund sinkt.

 

Ich bin noch auf dem Vorschiff, habe gerade meine Hand auf die Leine gelegt als ich es bereits  Rucken spüre. Er hält nicht. Eilig ist der Anker eingeholt und erneut ausgebracht. Das Resultat: Identisch.

Was ein scheiß!

Nun hole ich den Anker ein, sichere ihn und gehe zurück ins Cockpit wo ich uns in tieferes Wasser navigiere – erneut hat sich uns eine Untiefe genähert und ich mag nicht wieder ins Wasser.

Während ich einen Kreis fahre gehe ich alles durch. Ich habe etliche Ankerversuche unternommen. Prinzipiell weiß ich wie man ankert – einen Menschlichen Fehler schließe ich aus. Auch am Grund kann es nicht liegen. Zwei Ankerplätze und das sogar im Wattenmeer! Nein, der Grund ist Sand, was könnte ich mehr wollen?

Eigentlich bleibt nur noch eine Option. Gerade habe ich etwas Seeraum um mich und so eile ich aufs Vorschiff zum Bug. Sicher angeleint beuge ich mich unter dem Bugkorb hindurch und betrachte den Anker.

„Was zum Teufel…“

Er ist verbogen. Eine Flunke ist einfach nach hinten verbogen. Und eine Schweißnah ist komplett zerrissen. Der noch kaum  benutzte, überdimensionierte Anker den ich extra für diesen Törn gekauft habe: Kaputt. Kein Wunder das er nicht gehalten hat. Ich hätte ebenso gut eine Gusseisenpfanne werfen können. Masse hat der Anker, aber so unförmig wie er ist wird es nicht vernünftig auf dem Boden aufkommen und dementsprechend nicht halten. Auch händisch ausbringen hilft da nicht – hier im Wattenmeer mit der sich ändernden Tide muss sich ein Anker schon selbst eingraben können.

Erneut nehme ich Kurs auf meinen ersten Ankerplatz. Nachdem das Problem gefunden wurde ist auch die Lösung klar. Und dank der Tide bin ich schon ein gutes Stück in diese Richtung getrieben – zurück wäre nicht schneller, so spare ich mir aber morgen ein Stück des Weges. Und der wird morgen sowieso lang genug.

Während Bea Orca Kurs Ost macht öffne ich die Backskiste und hole den alten Anker raus. Was soll ich auch sonst tun?

Ein deutlich kleinerer Anker mit etwas Leine und einem Kettenvorlauf. Aber, fairerweise sollte man das schon sagen: Realistisch dimensioniert. Bei Starkwind oder gar Sturm mag ich nicht unbedingt an diesem Eisen hängen. Davon sind wir aber jetzt und in der kommenden Nacht weit entfernt. Ganz abgesehen davon: Die Alternative wäre ein kleiner Klappanker den ich noch von BEA habe. Also ist er eigentlich noch verhältnismäßig gut.

Kaum ist der alte Anker am Grund angekommen spüre ich bereits wie er sich eingräbt. Nach und nach gebe ich zunehmend mehr Leine bis schließlich alle draußen ist. Gut belegt auf der Vorschiffklampe hält er nun Bea Orca in den Gezeiten. Aufmerksam taste ich die Leine ab, ruckt da nicht etwas?

Aber nein, kein Rucken ist zu spüren – der Anker scheint zu halten. Auch der Ankeralarm verbleibt ruhig und die Peilung steht. Bea Orca liegt sicher vor Anker. Erleichtert atme ich auf.

Mittlerweile ist der Nachmittag in den Abend übergegangen. Doch an Schlaf ist nicht zu denken. Die kommenden Stunden halte ich mich mit Kochen, Essen, beobachten eines traumhaften Sonnenunterganges und Lesen wach. Morgen Mittag werde ich auf einen recht langen Seeschlag starten. Einen der erst irgendwann in der kommenden Nacht enden wird. Vor dem ich großen Respekt habe. Immerhin bin ich noch immer Anfänger und Einhand auf der Nordsee unterwegs. Und von der See um mein Zielgebiet habe ich schon so manches gehört.

 

Wo es hingegangen ist und was ich auf meinem langen Seeschlag erlebt habe – davon berichte ich die nächsten Wochen.

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Sebastian