Ein Meer aus Silber

Es war 17.30 als ich den Dieselmotor gestartet habe. Damit lagen die ersten fünf dreiviertel Stunden des Törns schon hinter mir. Bis Helgoland würden es noch etwa dreißig Seemeilen sein. Ein beachtliches Stück weg für mich.

Nach einer halben Stunde verschwinden dann die Segel. Sie waren nur noch am killen. Und das vor dem Wind! Grundsätzlich steht ein Westwind. Jedenfalls theoretisch. Praktisch ist absolute Flaute. Und die drei Knoten über Grund mit denen ich vorwärts diesel sorgen für einen leichten Gegenwind. So bringen die Segel nicht nur nichts, es schadet zudem dem Material, ein nicht akzeptabler Zustand.

Die meiste Zeit verbringe ich mit lesen. Das Buch ist gut, wenn es so weiter geht werde ich es fertig gelesen habe wenn ich anlege – egal ob auf Helgoland oder irgendwo in der Jade.

Doch immer wieder wandern meine Augen auch über die See. Trotz Flaute steht noch eine geringfügige, sanfte Restwelle. Wie verliebt beobachte ich die Mischung aus Weiß, Grau, Silber und Schwarz. Sanft streichen die Wellen über das Wasser, heben und senken es.

Bea Orca macht das nicht viel aus, von dieser leichten Welle merke ich nichts. Das gleichmäßige Brummen des Motors hat sich schon längst so eingeprägt das ich es kaum bewusst wahrnehme währen Bea Orca Strecke macht. Nach Osten, nach Osten, immer weiter nach Osten. Ich bin auf dem Rückweg, kein Zweifel. Wäre da nicht die liebe Zeit, ich wäre mit Sicherheits durchs Wattenmeer weiter, hätte noch die fehlenden Ostfriesischen Inseln besucht. Juist hätte mich noch sehr gereizt. Warum? Weil der Hafen wohl recht flach ist, ich mit Bea Orca aber noch gut rein komme. Wurde mir so gesagt. Vielleicht nicht der beste Grund – aber für mich ausreichend. Irgendwie ziehen mich Orte magisch an, an die nicht jeder kommt. Oder eben auch einfach nicht jeder geht.

So stand auch Minsener Oog recht weit oben auf meiner Liste. Vor der Vogelschutzinsel soll es eine Ecke geben an der man ankern und trockenfallen kann – und darf. Zudem ist an dieser Ecke auch die Insel selbst betretbar, es gibt dort eine Ecke an der man dies darf. So eine einsame, unbewohnte Insel – die zieht mich praktisch magisch an. Irgendwann will ich da wirklich mal hin. Es muss toll sein. Dieses Eiland, kaum von Touristen besucht. Sowas in Ostfriesland…. Ja, es zieht mich dort förmlich hin. Doch die Uhr tickt, ab übermorgen soll der Wind noch einmal auffrischen. Und danach habe ich nur noch ein paar Tage um nach Cuxhaven zu kommen. Obgleich ich noch eine Woche Urlaub habe, die Zeit zerrinnt mir förmlich zwischen den Fingern. Selbst wenn ich auf Helgoland verzichten würde: Minsener Oog wäre nicht mehr drinnen. Ich wäre vor dem Sturm nach Wangeroog gekommen. Doch bei Sturm werde ich nicht ankern und trockenfallen. Nicht solange ich eine Wahl habe. Und nach dem Sturm müsste ich ja spätestens weiter. So muss Minsener Oog eben noch etwas warten. Ich hoffe sehr dort hin zu kommen bevor die Regel verschärft werden, man es nicht mehr darf. So etwas wird ja leider ständig diskutiert.

Es ist halb sieben als der Wind wieder auffrischt. Nicht viel, doch es reicht gerade aus um wieder die Segel setzen zu können. Und dadurch sogar schneller zu werden, wenn auch geringfügig. Nur unter Segeln habe ich eine Geschwindigkeit unter einem Knoten, doch zusätzlich zum Motor bringen sie fast einen halben Knoten mehr Geschwindigkeit.

Im Süden zieht ein großes Segelschiff an mir vorbei. Ich beobachte es mit dem Fernglas, mache ein paar Fotos mit dem Teleobjektiv. Alles ist so weit weg, will man etwas anderes als die weiten der See fotografieren ist es einfach notwendig. Ich bin froh mich für die Kamera mit den zwei Objektiven entschieden zu haben.

Die See ist einfach so herrlich. Eine wahre Pracht, eine unglaubliche Schönheit. Silber ist sie, schimmert in der Farbe des Edelmetalls. Es ist ein Anblick der einem den Atem zu rauben scheint. Ich fühle wie ich in ihm aufgehe, Teil von etwas größerem werde. Hier draußen, auf See, ist man ganz klein. Man ist ein Punkt in der Unendlichkeit. Und ist der Unendlichkeit absolut egal. Und zugleich wird man von ihr gewogen, sie hält einen wie eine Mutter ihr Kind. Lohnt mit Anblicken der absoluten Schönheit, bietet das Gefühl grenzenloser Freiheit. Sie hat so viele Gesichter. Sanft und Wild, schützend und zerstörend. Schaffend und vernichtend. Blau, Schwarz, Grau und Grün ist ihr Antlitz, doch auch rot, gelb und orange ist ihr nicht fremd. Die See, sie behandelt alle gleich und lässt alle die bereit sind sich ihr hinzugeben in an ihren Wundern teilhaben.

Langeoog liegt im Süden, bald ist die Insel hinter mir. Langsam knurrt mein Magen. Zum Abendessen gibt es was kaltes – ohne Kardanik mag ich auf See nicht kochen. Die letzte Tüte Vla findet ihren Weg in meinem Magen. Einfach Lecker. Da hängen Kindheitserinnerungen dran.

Nachdenklich werfe ich einen Blick auf die Karte. Ich bin mittlerweile recht weit im Norden, knapp eine Seemeile entfernt beginnt das Verkehrstrennungsgebiet. Schmunzelnd wird mir bewusst das der Weg von hier nach Hooksiel weiter ist als nach Helgoland. Damit ist die Entscheidung wohin es geht bereits gefallen. Helgoland, ich komme.

Ein breites Grinsen klebt wie festgenagelt auf meinem Gesicht während ich über das Meer aus Silber segle.

Mehr und mehr nähert sich der Abend der Nacht. Ich lege die Taschenlampe bereit, überprüfe nach einmal alles. Dann mache ich mich dran, das letzte Kapitel aus Holgers Buch zu lesen. Wie wir im Norden segeln – gelesen während eines Schlages auf der Nordsee – ist ein wirklich tolles Buch. Das meine Freude auf Helgoland noch gesteigert hat.

Schließlich überprüfe ich noch einmal alles. Doch Bea Orca ist gut vorbereitet, die Nacht kann kommen.

Während wir uns zügig der Endtonne des Verkehrstrennungsgebietes nähern legt nicht nur die Tide zu, schiebt kräftig von hinten. Zugleich frischt es aber auch auf, der für die Nacht gemeldete Wind kommt.

Als ich Kurs Nordnordwest anlege hat der Wind auf fünf bis sechs Windstärken aufgefrischt. Es dämmert, bald wird es dunkel sein. Vor mir liegt ein verdammt stark befahrener Fleck Wasser. Unter Vollzeug schießt Bea Orca auf ihr Ziel zu.

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Sebastian