Es ist gerade neun Uhr als ich aufwache. Geweckt werde ich vom Geräusch der Motoren ablegender Boote. Der Sturm ist vorbei, die meisten anderen Boote im Hafen laufen heute aus. Auch ich hatte das vor. Aber eben erst heute Abend. Nachdenklich kratze ich mich am Kopf. So ein schöner Plan. Heute Mittag noch ein paar schöne Stunden auf der Insel, einen letzten Spaziergang. Dann Ablegen und bei Nacht in die Außenelbe segeln. Herrlich. Dummerweise bin ich jetzt schon um neun am Morgen wach. Das ist dafür zu früh – so bin ich heute Nacht zu müde. Sollte ich versuchen mich umzudrehen um noch ein paar Stunden Schlaf zu ergattern?
Aber nein, ich spüre: Ich bin wach. Fit. Da nochmal zu schlafen ist nahezu hoffnungslos. Praktisch keine Chance, da mache ich mir keine Illusion. Ich bin einfach richtig wach. Sollte ich vielleicht sofort ablegen? Zügig den anderen Seglern hinterher? Ich könnte es wohl noch bis Cuxhaven schaffen. Und wenn nicht zumindest bis nach Neuwerk oder ins Weser-Elbe-Wattfahrwasser. Erneut kratze ich mich nachdenklich am Kopf. Soll ich?
Schließlich entscheide ich mich dagegen. Ich mag noch einen Tag auf dieser schönen Insel genießen. Noch einen Spaziergang übers Oberland machen. Mir auch mal den Ort Helgoland ansehen. Vielleicht noch ein Eis essen? Wer weiß. Jedenfalls: Ich will hier im Moment noch nicht weg. Sicherheitshalber werfe ich einen Blick auf den morgigen Wetterbericht. Drei bis vier Windstärken aus West, dazu Sonne. Na bitte. Was will Segler mehr?
Obgleich ich mir mit einem „mal sehen“ alle Optionen offen halte, tief im inneren weiß ich: Ich werde heute noch hier bleiben und erst morgen ablegen.
Auf dem Weg zum Oberland mache ich einen Zwischenstopp beim Bäcker bevor es die Treppe hinauf geht. Kaum bin ich aus der Bäckerei draußen werde ich, man mag es nicht glauben, von einer Möwe angegriffen. Ich ducke mich weg, halte meinen Körper schützend vor das Teilchen.
Das ist meins!
Erneut versucht es die Möwe, fliegt wieder auf mich zu. Zügigen Schrittes ergreife ich die Flucht, eile in Richtung der Treppe. Dann bin ich außerhalb der Gefahrenzone. Gierig sitzt die freche Möwe da, den Blick auf den Ausgang des Inselbäckers gerichtet. Wartend auf ihr nächstes Opfer.
Nun endlich mein Frühstücksteilchen genießend stapfe ich die Treppe hinauf ins Oberland. Statt nach rechts durch die Schrebergärten zum Klippenweg wende ich mich Links. Ich will zum Leuchtturm. Ob man den wohl besichtigen kann? Ich hoffe es, das würde mich wirklich interessieren.
Vorbei am Berliner Bären (was macht der hier?) geht es zum Leuchtturm. Doch der ist verschlossen, die Öffentlichkeit darf hier nicht rein. Schade. Nichtmals Führungen scheint es zu geben. Dabei hätte mich das wirklich interessiert.
Doch es ist wie es ist, ich kann da nichts machen.
Nun geht es weiter, ein Stück die Klippen entlang bis ich mich schließlich auf einer Bank niederlasse.
Der Blick von hier über die offene Nordsee ist einfach herrlich. Dieses weite, offene, blaue Meer das so wunderbar im Licht der Sonne funkelt. Ein Traum.
Schließlich packe ich noch das Mitgebrachte Buch aus. Meer als ein Traum. Es war der erste Segel-Reisebericht den ich gelesen habe. Auf einem Stadtbummel mit meiner Familie in Mannheim hatte ich es einst entdeckt und mitgenommen. Schmunzelnd schüttle ich den Kopf. Eigentlich ist es ja ein wenig seltsam das ich dieses Buch immer mal wieder lese. Weder wäre eine Weltumsegelung auf der Barfußroute mein Traum noch die große, stählerne Iron Lady ein Schiff mit dem ich persönlich mich identifizieren würde. Mag sein das ich eines Tages einen solchen Koloss segle. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Die kommenden Stunden genieße ich es einfach hier zu sitzen, zu lesen und immer wieder meinen Blick zu heben, die Aussicht über die weite, blaue See zu genießen. Es ist einer jener Augenblicke in denen nichts geschieht. Und die doch so viel sind.
Doch schließlich ist es an der Zeit, ich erhebe mich und setzte meinen Weg fort. Es geht zur Kirche. Ich habe gelesen das die Kirche von Helgoland sehenswert sein soll. Und tatsächlich, als ich im inneren bin muss ich lächeln. An der Decke hängen Zahlreiche Schiffsmodelle. Eine Richtige Seefahrtskirche, so könnte man sagen. Ob religiös oder nicht – diese Kirche ist einfach schön anzusehen. Länger als erwartet bleibe ich – auch wenn es natürlich kein Vergleich zur Anziehungskraft des Meeres ist, dieser Ort hat was.
Doch dann geht mein Spaziergang durch die Ortschaft weiter. Ebenfalls meine Aufmerksam verlangen tut eine etwas andere „sehenswürdigkeit“. Ich kann es kaum glauben als ich sie sehe: Hier steht tatsächlich noch eine Telefonzelle!
Und wie es scheint ist sie sogar in Betrieb. Zum Telefonieren. Dies ist nicht etwa eine „Tauchbibliothek“ sondern tatsächlich eine ganz altmodische Telefonzelle. Es mögen für mich nur noch sehr dunkle Erinnerungen sein an die Zeit als man noch sowas wie eine Telefonkarte hatte. Aber ich habe sie noch, gerade so. Und entsprechend entzückt mich der Anblick dieses Stücks Geschichte.
Zurück zum Hafen schlendere ich noch ein wenig durch die Gassen im Oberland. Und komme so (sofern mein Gedächtnis mich nicht täuscht) zum ersten Mal an einem Gebäude vorbei das noch wichtig für mich werden sollte.
Den Rest des Tages verbringe ich an Bord, lese. Ganz gemütlich sitze ich im Cockpit und verfolge die Reise der Iron Lady (fast) um die ganze Welt. Ein schönes Buch, so finde ich.
Ich genieße meinen letzten Abend auf Helgoland an Bord. Obgleich der Wetterbericht sich mittlerweile schon etwas beruhigt hat, nicht mehr ganz so bedrohlich ist wie er noch gestern war: Mein Törn neigt sich dem Ende zu, morgen muss ich ablegen. Es geht vielleicht noch einmal zur Ostemündung oder nach Neuwerk. Doch werde ich wohl keinen neuen Ort mehr anlaufen.
Einen schönen Sonnenuntergang sollte ich am letzten Abend auf Helgoland allerdings leider nicht erleben. Denn Pünktlich zu dieser schönen Zeit ziehen dichte Wolken auf und verdecken das Schauspiel.
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