Nach dem Frühstück und einem Abstecher zum Inselkaufmann geht es ins Nordvorland.
Knips, Knips, Knips.
Die Kamera ist im Dauereinsatz, die Schönheit dieses wundervollen Flecken Erde wenigstens abzulichten habe ich mir für den Vormittag zur Aufgabe gemacht.
Der Wind pustet bereits kräftig. Für heute sind sechs bis sieben Windstärken gemeldet. Wenn das Wasser kommt muss ich unbedingt bei Bea Orca sein um nach meiner Großen zu schauen. Jetzt mache ich mir doch ein wenig Gedanken um sie. Wir liegen an einem einfachen, nicht schwimmenden Steg auf der dem Wind zugewandten Seite der Insel. Einzig ein nicht übermäßig hoher Wellenbrecher schützt Bea Orca. Und so mache ich mich dann doch recht bald auf meinen Rückweg zu Bea Orca.
Morgen werde ich meinen letzten Schlag für diesen Törn machen. Zurück nach Cuxhaven. Und obgleich das Wattfahrwasser hier gut gekennzeichnet ist werfe ich auf das Stück des Prieles welches gleich neben der Insel verläuft einen kurzen Blick.
Schließlich, es ist kurz nach zwei, bin ich wieder auf Bea Orca und warte auf das Wasser. Und es kommt. Wie es kommt. Der Flut ist schnell, zwei Stunden vor Hochwasser schwimmt Bea Orca wieder. Noch ist alles gut, der Wellenbrecher hält das schlimmste von uns ab. Der Wind sorgt für zehn Grad Lage in Richtung des Steges was aber nicht weiter problematisch ist – da ist nichts wo sich Bea Orca dran aufhängen könnte.
Doch schon bald wird es ungemütlicher. Der Wind kommt zunehmend eher aus Nordwest denn West, läuft so am Wellenbrecher vorbei auf den Westanleger drauf. Es wird ungemütlich, Bea Orca verhält sich bockig am Steg, springt auf und ab. Ich achte darauf das sie sich nicht unter den Steg verirrt, passe immer wieder und wieder Leinen und Fender an. Der Bugkorb stößt kurz an den Steg, sofort hole ich die Heckleine etwas dichter. Wichtig ist mir, Bea Orca mit der breitesten Stelle durchgängig an der rostigen Leiter zu halten. Hier kann ich sie einerseits von den dicken Pfosten weg halten und andererseits verhindern das sie unter den Steg geschoben wird.
Zwischendurch lese ich etwas. Versuche mich durch das geschriebene etwas ruhig zu halten. Beide Ohren und ein Auge sind auf das Geschehen um mich gerichtet. Dauerhaft. Doch das Lesen, diese geringfügige Ablenkung hilft mir ruhig zu bleiben. Ich darf jetzt nur nicht panisch werden. Obwohl schon klar ist: Das ist richtig doof. Noch etwa drei Stunden bis Bea Orca wieder stehen sollte. Flipper legt an.
Gleich gegenüber des Behördensteigers an Land steigt eine Veranstaltung. Ich werde rüber gewunken, man lädt mich auf ein Bier ein. Dem Blog sei es gedankt. Barfuß gehe ich über die Stege rüber, rede kurz mit den Leuten. Hus achtern Diek organisiert die Veranstaltung für eine Firma. Eigentlich wollten diese heute über das Watt zu Fuß nach Neuwerk und mit der Fähre zurück. Zu Fuß war aber heute unmöglich – und Flipper wird bereits nach einer Stunde wieder ablegen. Zu windig und ungemütlich ist es hier, den Rückweg bei starkem Nordwester und ablaufendem Wasser will die Besatzung vermeiden.
Zügig begebe ich mich zurück auf Bea Orca. Die Kurze Ablenkung hat gut getan, ich bin wieder etwas entspannter. Noch habe ich etwas Zeit, doch nahe Hochwasser bekomme ich nicht nur gut zu tun – sondern auch langsam Angst. Denn etwas worüber ich nicht im Mindesten Nachgedacht hatte ist nun plötzlich ein Thema. Bea Orca droht nicht etwa an oder unter den Steg gedrück zu werden. Sondern auf ihn drauf!
Es fehlt nur noch die oft genannte Handbreit Wasser, dann steht der Steg unter Wasser. Bei dem Seitenwind und der Welle ist mit einem Ablegen nicht zu rechnen. Fender und Fenderbrett – ein altes Holzbrett mit zwei Löchern und Leinen – hängen auf der Wasseroberfläche, ich stehe auf dem Steg. Es gibt nicht mehr viel was ich tun könnte. Doch es ist Hochwasser, ab jetzt wird es sinken. Zum Glück. Was ich sonst getan hätte?
Nun, im Bauernhafen liegt ein Feuerwehrboot. Ich hätte wohl die Neuwerker auf der Veranstaltung gefragt ob sie nicht die Freiwillige Feuerwehr bitten könnten mich vom Steg zu ziehen. Vor Anker wäre es zwar sicherlich furchtbar ungemütlich, dafür aber recht sicher. Das hier sind sechs bis sieben Windstärken. Ich war schon bei mehr im Wattenmeer Unterwegs, gar unter Vollzeug. Und Bea Orca kann so einen Wind gut wegstecken. Gefährlich ist nicht der Wind – sondern die Legerwallsituation. Aber ob sie das getan hätten? Es wäre wohl noch die beste Chance gewesen. Andernfalls hätte nur noch ein verzweifeltes Ablegemanöver gegen starken Wind und Welle helfen können die Schäden wenigstens zu begrenzen. Lieber ein paar tiefe Kratzer als dass das Boot komplett zerschlägt.
Endlich sinkt das Wasser. Zeitgleich lässt der Wind nach. Am stärksten war er bei Hochwasser.
Flipper legt ab, die Veranstalltung ist vorbei. Ich bekomme noch ein Käseweck und ein zweites Bier in die Hand gedrückt. Das Wasser sinkt, bald taucht der Wellenbrecher wieder auf. Der Spuk ist vorbei.
Lesend verbringe ich die nächsten Stunden bis zum Abendessen im Vorschiff. Das hier war ein etwas anderes Erlebnis. Ich verspreche mir selbst zukünftig bei nur eingeschränkt geschützten Liegeplätzen bedeutend stärker auf die Windvorhersage zu achten. Und notfalls lieber frühzeitig an einen Ankerplatz zu verholen. Denn heute gab es nur eine Gefahr für mein Boot: Das war nicht etwa Wind und Welle, sondern der Liegeplatz an dem sie lag. Wie gut das mein Heimathafen das genaue Gegenteil, einfach wundervoll geschützt ist.
Um 19 Uhr, noch schwimmt Bea Orca, koche ich mir Nudeln mit Tomatensoße. Doch bald nach dem Essen wird es ruhig, um zwanzig Uhr steht Bea Orca auf ihrem ersten Kiel.
Zum Abschluss des Tages gibt es einen weiteren Spaziergang um Neuwerk. Noch immer pustet es recht ordentlich, doch in den nächsten Stunden wird sich der Wind endgültig beruhigen. Beim nächsten Hochwasser morgen in aller Früh muss ich mir keine großartigen Gedanken mehr machen.
Erst nach zwei Stunden bin ich wieder auf Bea Orca. Diese steht wie gewohnt hier leicht schräg doch das ist nicht weiter dramatisch. Die letzten Stunden des Tages im Cockpit verbringend werde ich von einigen Gästen der Insel angesprochen. Es sind die üblichen Fragen nach dem Woher, wohin, ob es denn nicht gefährlich wäre, so alleine, und überhaupt: Schwierig. Und, man ist hier im Wattenmeer, wie das denn mit dem Tiefgang sei.
Schließlich sitze ich wieder alleine, Logbuch schreibend im Cockpit. Nach einem unerwünscht aufregenden Nachmittag sitze ich nun ganz entspannt hier. Lasse vor meinem geistigen Auge noch einmal den zurückliegenden Törn ablaufen. Schön war es. Morgen wird mein letzter Tag sein. Das Wetter will es so, den Sonntag werde ich in Cuxhaven verbringen. Und doch, ich verspüre einen inneren Frieden. Obgleich Heute für mich der kritischste Tag des Törnes war, so war auch heute ein schöner Tag. Es ist alles gut gegangen.
Ja, ich habe Fehler gemacht. Ich hätte hier heute nicht liegen dürfen. Zumindest nicht bei Hochwasser. Ich hatte alle Informationen um das zu wissen – und habe die Bausteine doch nicht richtig zusammen gesetzt. Doch es ist alles gut gegangen. Später würde ich mir noch einmal genau überlegen was ich falsch gemacht habe und wie ich so etwas in der Zukunft würde verhindern können (Das Ergebnis findet ihr im Buch „Sturm – Segler über ihre dramatischsten Stunden“ von millemari.*).
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*Für jeden Kauf des Buches bekomme ich einen kleinen Anteil als (Mit)Autorenhonorar. Zudem hat der Verlag auch mein Buch „Schnell kann Jeder“ verlegt.
Spannende Geschichte, trotzdem hattest du noch Zeit für schöne Bilder.
Weshalb bist du eigentlich nicht in den kleinen Südhafen gegangen? Da wärst du doch geschützter oder?
Tiefgang. Ich komme mit meinem Tiefgang bei HW geradeso rein – und das auch nur bei min. mittlerem HW. Dadurch ist es einerseits immer fraglich ob ich auch wieder aus dem Hafen raus komme. Andererseits: Selbst wenn ich raus komme, bin ich dann doch zu spät um mit der Tide noch bis Cuxhaven zu kommen. Somit ist der Bauernhafen für mein leider keine Option.
Viele Grüße,
Sebastian