Die erste Nacht vor Anker

Immer wieder wälze ich mich im Vorschiff hin- und her. Das Boot wiegt sich weich, fast unmerklich, ein unglaublich angenehmes Gefühl. Trotzdem komme ich nicht runter. Immer wieder wandern meine Gedanken zum Anker. Ein kleines Stück Eisen, ich kann es Problemlos mit einer Hand heben. Notfalls könnte ich sogar mit der Hand auch noch Kette und Leine tragen. Und daran hängt nun mein Boot und ich. Verrückt. Ich bin alleine, weiß, das ich nicht die ganze Nacht Ankerwache gehen kann. Kann mich auch mit niemandem abwechseln. Soll ich vielleicht doch in den Yachthafen in Neuhaus verholen? Weit ist es nicht.

Aber etwas hält mich zurück. Wenn ich jetzt in den Yachthafen verhole war es das mit Ankern. Zumindest fürs erste. Die Bedingungen sind gut, der Platz geschützt. Wenn ich das hier nicht hin bekomme, dann werde ich mich selbst an Häfen ketten. Und das will ich gewiss nicht. Ich bleibe. Meine Ankeralarm-App verrät mir, das der Anker bisher gut hält, auch das Kentern der Tide am Nachmittag war kein Problem. Außerdem habe ich mir Wecker gestellt – alle 30 Minuten werden sie klingeln.

Doch noch etwas anderes hält mich vom Schlafen ab. Eine Leine schlägt immerzu gegen den Mast und der Wind pfeift im Rigg. Schrecklich. Ein Lärm im Vorschiff, unter dem Mast. Bereits im Salon ist es ruhiger, strecke ich meinen Kopf durch die Luke nach außen umgibt mich Ruhe. Beinahe. Das Pfeifen des Windes verschwindet praktisch, das Klappern der Leine rückt in den Hintergrund. Doch kaum bin ich wieder im Vorschiff wird es unerträglich. Das muss ich ändern. Kurzerhand steige ich an Deck. Als erstes widme ich mich der Leine. Es ist die Dirk, sie hängt lose. Ich setze sie durch, doch das alleine hilft nicht. Mit mehreren Leinen in zwei Meter Höhe gelingt es mir, sie weitgehend ruhig zu stellen. Das Problem: Sie verläuft weit oben nicht direkt am Mast, sondern ein Stück entfernt. Wenn der Wind durch Pfeift beginnt sie vibrieren zu lassen, schlägt sie in geschätzt fünf Metern Höhe gegen den Mast. Doch die Kombination aus Durchsetzen und mehreren fest geknoteten Leinen hat den gewünschten Effekt, das Klappern verschwindet weitgehend. Nur gelegentlich und leise ist es noch zu vernehmen. Aber was soll ich gegen das Pfeifen machen? Im Internet finde ich den Tipp, ein paar Fender ans Großfall zu binden und hoch zu ziehen. Dies würde wohl den Wind anders brechen und das Pfeifen verhindern. Hört sich gut an. Eilig schnappe ich mir dicke Fender von der Reling, befestige sie am Großfall und ziehe das Päckchen hoch. Ob es wohl Probleme geben wird das ganze wieder runter zu bekommen? Sicherheitshalber senke ich die Fender auf halber Höhe wieder ab. Alles gut, sie kommen von selbst wieder runter. Also richtig hoch, Klampe mit dem Großfall belegen und unter Deck. Tatsächlich, die Geräusche sind weitgehend verschwunden, der Rest ist leise und wird schnell ausgeblendet. Doch noch bin ich zu aufgewühlt um zu schlafen. Erneut öffne ich die Vorschiffluke und klettere an Deck. Es scheint, als würde diese mehr und mehr für mich zu einem zweiten Ausgang werden.

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An Deck lasse ich mich nieder. Der Blick schweift über die Außenelbe. Was für ein Anblick. Der Himmel ist sternenklar. Hoch über mir scheint der Mond, voll und Rund. Ein wundervoller Anblick.

Diese Nacht ist perfekt. Es ist zwar frisch, aber nicht kalt. Ein kuschliger Pulli reicht mehr als aus. Was für ein Bild. Ein Traum. Und dabei bin ich noch gar nicht wirklich draußen. Wie es erst sein muss bei Nacht auf See unterwegs zu sein. Nächstes Jahr, wenn ich Funk an Bord habe…. ich muss unbedingt mal bei Nacht nach Helgoland segeln. Klar, nicht beim ersten Mal. Da macht Tageslicht bestimmt Sinn. Besonders bei der Ansteuerung. Aber… wie magisch muss es da draußen sein, weit weg von Land, mit praktisch keinem Lichtsmog?

Bereits hier ist er vergleichsweise gering. Mit Blick zu Brunsbüttel und Cuxhaven schleicht sich ein bitteres Grinsen auf mein Gesicht. Es ist gleichzeitig wunderschön und hässlich. Beide Städte sind bei Nacht von hier noch besser zu erkennen als tagsüber. Die Lichter der Häuser und Industrieanlagen scheinen Hell in der sonst dunklen Nacht. Um die Städte legt sich ein schimriger Lichtfilm. Lichtsmog. Schön. Und doch traurig.

Auch auf der Außenelbe selbst blinkt und leuchtet es, doch die vergleichweise großen Abstände lassen es harmlos erscheinen. Es ist faszinierend die verschiedenen Lichter zu beobachten. Immer wieder schieben sich die Positionslampen von Booten in der Ferne vorbei. Mal schnell mal langsam, aber immer gleichmäßig. In wenigen Stunden will ich auch da draußen in der Nacht unterwegs sein. Eigentlich. Doch ob ich fit genug sein werde? So langsam überkommen mich Zweifel. Um mein nächstes Ziel zu erreichen muss ich um 02.00 Uhr aufstehen. Mittlerweile ist nach elf und ich habe noch nicht geschlafen. Ungünstig.

Trotzdem bleibe ich sitzen. Der Anblick der Außenelbe bei Nacht hat etwas beruhigendes auf mich. Ich merke, wie ich langsam runter komme. Mich entspannte. Ein Gähnen entrinnt mir und ich merke, das es Zeit ist mich hinzulegen. Wieder einmal klingelt ein Wecker. Halb zwölf.

Kaum habe ich ihn abgestellt klappen meine Augen zu, ich schlafe ein. Ein ereignisreicher Tag liegt hinter mir.

Alle dreißig Minuten bimmelt mein Handy, weckt mich auf. Der erste Blick geht zum Tablet, wo ich unsere Position und die des Ankers sehe. Zusätzlich öffne ich die Luke, stehe auf und blicke nach Außen. Das bringt allerdings nur bedingt etwas. Das Ufer kann ich nicht sehen. Einzig zwei befeuerte Bojen in der Ostemündung ermöglichen eine sehr grobe Positionskontrolle. Bedenkt man, das sich meine Position aufgrund der Gezeiten sich natürlich tatsächlich ändert – und das nicht mal wenig – eigentlich nicht ausreichend für eine wirkliche Positionsbestimmung. Trotzdem hilft es mir der App zu vertrauen und ich schlafe etwa eine Minute, nachdem ich aufgewacht bin wieder ein.

Um zwei Uhr nehme ich mir etwas mehr Zeit. Wenn ich heute ins Wattenmeer will, muss ich jetzt aufstehen. Dann lägen vor mir einige Stunden bei Dunkelheit auf der Außenelbe. Bin ich dafür fit genug?

Ein tiefes Gähnen beantwortet die Frage. Nein. Ich kann kaum die Augen aufhalten. Außerdem, das merke ich: Ich will hier noch gar nicht weg. Es ist einfach schön hier, ich mag diesen Ankerplatz noch etwas länger genießen.

Trotzdem klettere ich an Deck, verbringe etwas Zeit draußen. Noch ist Stillwasser und ich kann beobachten wie sich das Boot im gerade aufkommendem Ebbstrom neu ausrichtet. Meine Hand legt sich auf die Ankerleine. Achtet auf das leichteste Zucken. Aber nichts. Der Anker hält. Und so klettere ich zurück in meinen Schlafsack und schlafe ein – bis der Wecker wieder klingelt.

Den 30 Minuten Takt halte ich bei, und ab drei Uhr wache ich sogar stets kurz vor dem Wecker auf.

Es ist erst halb sechs, als ich erneut – und dieses Mal endgültig –  aufstehe. Alles ist gut gegangen, der Anker hat gehalten. Und ich habe es sogar geschafft zu schlafen.

Glücklich beobachte ich die Dämmerung und schließlich einen tollen Sonnenaufgang. Die Nacht war unruhig – und wunderschön. Ich weiß, das dies nur die erste von vielen Ankernächten sein würde. Ich mag Häfen. Sie haben so eine tolle Atmosphäre. Doch Ankern… Ankern ist einfach…

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Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen in der Nacht vom 14. auf den 15.08.2016.

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Sebastian

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