Meine erste Nachtfahrt

 

Es ist gerade mal 01.00 Uhr als ich aufwache. Immerhin: Die letzten sieben Stunden habe ich, abgesehen vom gelegentlichen Rundumblick zur Positionskontrolle geschlafen. Jetzt bin ich trotz der nächtlichen Zeit wach. Energie durchströmt mich, ich fühle mich als könnte ich einen Marathon laufen. Noch eine Stunde schlafen? Kaum vorstellbar. Und so schäle ich mich aus meinem Schlafsack. Die Entscheidung, früher zu starten fällt sofort. Es schadet nicht, so habe ich ein größeres Zeitfenster.

Die Nacht erhellt ein fast voller Mond, strahlend weiß steht er am Himmel. Keine Wolken sind zu erkennen und so strahlen zusätzlich unzählige Sterne. Der Wind ist schwach, nur eine sanfte Briese streift über den Ankerplatz. Zwar könnte der Wind zum segeln gerne stärker sein, doch für meine aller erste, richtige Nachtfahrt – und dann auf der Außenelbe – finde ich die Bedingungen ideal. Respektvoll blicke ich raus aufs Wasser. Überall blinkt es. Die großen Pötte fahren, ganz egal ob Tag oder Nacht. Kann man sie bei Tage schon von weitem aufgrund ihrer monströsen Ausmaße erkennen zeigen nun nur einige wenige Lichter in diesem Lichtermeer ihr Nahen an. Wie das wohl unterwegs sein wird? Ihre genaue Position und Tempo ist schon bei Tage nicht immer leicht zu schätzen.

Ich drücke auf den Knopf und starte den Diesel. Während er hinten schnurrt knie ich mich aufs Vorschiff, beginne den Anker einzuholen. Hand über Hand hole ich die Leine auf, lege sie in den Ankerkasten. Schließlich kommt der Anker lose. Noch kann ich ihn nicht sehen, beeile mich aber die restliche Ankerkette einzuholen. Dann noch den Anker einhängen und sichern, fertig. Kurz werde ich nervös – ich kann meine Umgebung praktisch nicht sehen, weiß aber, das Bea Orca seit der Anker lose ist abtreibt. Der Verstand sagt mir, das es in die richtige Richtung ist: Das Wasser läuft ab und ich will zur Mündung. Trotzdem, nichts zu sehen….

Eine der zwei befeuerten Tonnen auf der Ostemündung. Drumrum: Dunkelheit.

Eine der zwei befeuerten Tonnen auf der Ostemündung. Drumrum: Dunkelheit.

Die Ostemündung ist nur geringfügig befeuert. Zunächst muss ich ins Fahrwasser. Hierbei helfen mir die beiden befeuerten Tonnen am Knick. Diese sind wichtig, denn gleich hinter der nördlichen Fahrwassertonne beginnt das Osteriff. Hier aufzulaufen wäre besonders bei Nacht ungünstig.

Alles geht gut, doch nun wird es kniffelig. Vor mir liegt eine Seemeile bis zur Außenelbe. Bei Tage ist es sehr einfach, liegen hier doch viele Tonnen in überschaubaren Abständen. Doch genau diese Tonnen werden nun teil des Problems: Sie alle sind nicht befeuert, keine Roten und Grünen Lichter markieren ihre Position. Zur Terrestrischen Navigation könnte ich höchstens Fahrwassertonnen auf der Außenelbe nutzen.

Auf Backbord ist es nicht weit bis zum Ufer. Von diesem Erstrecken sich immer wieder Untiefen ins Wasser, weshalb man das Fahrwasser hier nicht verlassen sollte. Und auch auf Steuerbord ist es nicht wirklich besser: Hier erstreckt sich das noch vollständig überspülte Osteriff. Selbst mit meinen 81 Zentimetern Tiefgang könnte ich dort schnell auflaufen.

Zuletzt sind da noch die unbefeuerten Fahrwassertonnen. Auch auf einen Nahkampf mit eben diesen möchte ich verzichten. Meine Lösung: Ein Tablet mit einer Navigationsapp sowie mein Echolot. Während das Tablett zur eigentlichen Navigation genutzt wird sichere ich mich über die Wassertiefe ab. Um einen möglichen Kontakt mit den Bojen zu verhinern fahre ich recht langsam und beobachte genau das Wasser vor dem Bug. Dank der hellen Nacht sehe ich die Bojen 20 bis 30 Meter bevor sie querab kommen. Nicht viel, aber doch genug um sie zu umfahren.

Mit Stirnlampe an Deck. Um meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen ist sie unterwegs aber aus.

Mit Stirnlampe an Deck. Um meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen ist sie unterwegs aber aus.

Im Notfall wäre die Ansteuerung der Ostemündung sicherlich auch ohne möglich, nicht aber ohne Risiko. Mit Tablett und Navigations-App hingegen ist es leicht, das Programm sagt mir nicht nur wo ich bin, sondern auch wo ich wie schnell hin fahre. Da Kurs und Geschwindigkeit über Satellit bestimmt werden handelt es sich dabei um den tatsächlichen Kurs – inklusive Versatz durch die Gezeiten.

Trotzdem: Nur mit der Kombination aus Tablett, Echolot und einem hohen Maß an Aufmerksamkeit habe ich ein gutes Gefühl bei der Sache.

Es ist gerade erst zwanzig vor Zwei als wir die letzte Ostetonne hinter uns lassen. Wir sind draußen, auf der Außenelbe. Ein zurück gibt es nicht mehr. Der Ebbstrom setzt stark, gegen ihn schaffe ich den Weg zurück in die Oste nicht mehr. Vor mir liegen mindestens zwei bis drei Stunden durch die Nacht, der nächste Hafen den ich um diese Zeit anlaufen könnte ist Cuxhaven. Und bis ich da sein werde, wird die Nacht bald vorbei sein. Nicht das Cuxhaven mein Ziel wäre. Nein, ich will endlich ins Wattenmeer. Trotzdem: Zu wissen, das es jetzt kein Zurück mehr gibt hat etwas schicksalhaftes – und wunderbares.

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Der Mond steht am Himmel und sorgt für etwas Licht.

Beeindruckt beobachte ich, was vor mir liegt. Überall leuchtet, blinkt und blitzt es. Wie viele Feuer hier wohl leuchten? Hunderte mit Sicherheit. Vielleicht sogar tausende?

Zu den Lichtern auf dem Wasser kommen auch noch die an Land. Da sind Brunsbüttel und Cuxhaven. Beide Orte sind hell erleuchtet, umgeben von einer Wolke aus Lichtsmog. Beeindruckend auch die Küste von Schleswig-Holstein: Sind bei Tage die Windkrafträder nur als leicht gräuliche Striche zu sehen, tun sie ihre Existenz bei Nacht deutlich sichtbar kund. Rot blinken sie, zu tausenden, und markieren die ferne Küste. Dort will ich hin – doch der direkte Weg bleibt mir versperrt. Nördlich von mir erstrecken sich Sandbänke und das Dithmarsche Wattenmeer. Einfach schräg rüber fahren? Selbst mit meinem geringen Tiefgang nicht möglich.

Nachdenklich beobachte ich die Außenelbe. Zwischen Cuxhaven und Brunsbüttel blitzt und blinkt es – die Positionslichter eines Schiffes aber sind für mich nicht zu erkennen. Und so nutze ich die Gelegenheit, gebe Gas und steuere Kompasskurs Nord. Ich will das Fahrwasser so schnell wie möglich kreuzen. Dabei beobachte ich immer wieder meine Umgebung. Die Vorstellung ein Licht falsch gedeutet zu haben macht mich nervös. Sollte ein Schiff auftauchen habe ich kaum Zeit zu reagieren. Doch: Wie soll ich lernen hier bei Nacht zu navigieren, wenn nicht indem ich es tue? Schon jetzt ist mir klar: Hier bei Nacht draußen zu sein ist etwas komplett anderes als an der Kugelbake zu stehen und die verschiedenen Lichter auf dem Wasser einzuordnen.

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Auf der Außenelbe bei Nacht. Ein paar Lichter, umgeben von Dunkelheit.

Ich habe etwa zwei Drittel des Fahrwassers hinter mich gebracht als mir im Westen Positionslichter auffallen. Ein Schiff. Und wenn ich mich nicht verschätzte ein Großes, das mit hoher Geschwindigkeit auf mich zu kommt. Sorgen mache ich mir aber nicht: Das Schiff fährt elbaufwärts und ich bin bereits auf der Fahrwasserseite der elbabwärts fahrenden Schiffe. Trotzdem atme ich auf als ich das Fahrwasser überquert habe.

Lächelnd ändere ich meinen Kurs auf West. Ich bin unterwegs. Bei Nacht auf der Außenelbe – einhand. Was für ein magischer Ort das hier doch ist.

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Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen am 16.08.2016.

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Sebastian