Ich bin früh dran – hier wollte ich erst in einer Stunde sein. Nicht das dies ein Problem wäre. Ganz im Gegenteil: So kann ich es mir leisten zu bummeln. Es dauert nicht lange und beide Segel sind gesetzt. Ich schalte den Motor ab und genieße die Ruhe. Ein sanfter Wind schiebt uns vorwärts. Mit 2, in Spitzen 2,5 Knoten geht es durch die Nacht. Über Grund. Mit dem Strom! Der Wind ist schwach, gerade stark genug um Bea Orca steuerfähig zu halten.
Entspannt lehne ich mich zurück. Zum ersten Mal in meinem Leben mache ich eine richtige Nachtfahrt. Und dann gleich Außenelbe. Im Voraus war ich wirklich aufgeregt und angespannt. Doch jetzt. Hier zu sein, mitten in der Nacht, ist magisch. Hier sind die Tonnen befeuert so das ich mich gut zu Recht finde. Zusätzlich liegt das Tablett bereit. Das Wasser ist nahezu flach und Bea Orca liegt ruhig. Die Ruhe ist allumfassend. Einzig das leichte plätschern des Wassers am Rumpf ist zu hören.
Mittlerweile sind ein paar Wolken aufgezogen doch noch immer kann ich über mir unzählige Sterne erkennen. Plötzlich fällt mir ein, dass ich jetzt, wo der Motor aus ist, auch das Dampferlicht ausschalten kann. Kaum ist dies geschehen steigt die Zahl weiter. Während über Niedersachsen und Schleswig-Holstein Wolken den Himmel verhängen habe ich über der Außenelbe einen klaren Blick. Hunderttausende Sterne strahlen am Himmel. Ob ich, auch ohne astronomische Kenntnisse Sternbilder finden kann? Schwer. Sicher, ich kann mit etwas Fantasie Bilder erkennen. Aber ob dies tatsächlich Sternbilder sind ist kaum zu sagen. Letztlich auch egal – ich habe meinen Spaß.
Der Himmel und das mich umgebende Meer, weites Schwarz und doch so viele Lichtpunkte haben eine überraschende Wirkung. Ich entspann mich, werde locker und absolut ruhig. Ohne großartig zu grübeln oder mir sorgen um etwas zu machen sitze ich im Cockpit. Segeln und Ruder gehen geschieht wie von selbst, unbewusst. Obwohl mein Geist scheinbar nichts tut bin ich hoch fit, wach. Jedes Detail meiner kaum zu sehenden Umgebung wird wahrgenommen.
Aber wie eigentlich? Weder ist viel zu hören noch zu sehen. Nein, diese Atmosphäre nimmt man nicht mit den bekannten Sinnen war. Mit ihnen kann man dieses Erlebnis nicht beschreiben. Was mich in diesem Moment erreicht ist tiefer als normale Sinneseindrücke. Ich spüre die Schönheit die mich umgibt. Die See. Obwohl man kaum etwas sieht und hört spürt man sie am ganzen Körper. Zwar ist die Außenelbe noch Teil eines Flusses, doch für mich ist das hier ein richtiges See Revier. Und jetzt, bei Nacht kann man auch kein Ufer mehr sehen. Das ich weiß, das bei den rot blinkenden Lichten im Osten Schleswig Holstein ist, tut dabei nichts zu Sache. Ich bin auf See, darf diesen Ort hier genießen, in mich aufnehmen. Das eine Nachtfahrt hier so viel Spaß machen könnte…. ich hätte es nie gedacht.
Plötzlich wird diese ruhige Fahrt im Einklang mit der Natur unterbrochen. Etwa einhundert Meter neben mir in der Dunkelheit erscheint ein helles Licht. Ein bis eben unbeleuchtetes Boot hat seine Deckscheinwerfer angeworfen. Ein Fischkutter. Ich beobachte ihn kurz, dann ist klar: Kollisionskurs. Verdammt! Ich hätte schon lange meinen Kurs ändern können, hätte der Fischer seine Positionslichter an gehabt. Doch jetzt ist es für ein Ausweichen unter Segeln zu spät. Eilig werfe ich den Diesel an und lege ob der Situation den Hebel auf den Tisch. Von jemandem, der hier Nachts die Lichter aus macht kann ich nicht erwarten auszuweichen. Mal abgesehen das ich ausweichpflichtig bin. Ob es wohl eine Sonderregel gibt, wenn jemand seine Positionslampen erst im letzten Moment an macht?
Doch auch der Fischer ändert den Kurs und überholt mich querab. Erleichtert schalte ich runter. Alles gut. Eigentlich kann der Diesel doch auch wieder aus…?
So ein Fischer bei Nacht… das Bild ist interessant. Im Licht der Scheinwerfer kann man an Deck einen Mann arbeiten sehen. Zudem erscheinen immer wieder, wenn sie an den Lampen vorbei fliegen, die Schatten der Möwen. Auch der Fischer schaltet seinen Motor wieder runter. Nun gut. Ich bin gerade erneut unter Segeln querab als der Motor des Fischkutters aufheult. Offensichtlich legt der Fischer hart Ruder denn plötzlich nimmt er Kurs direkt auf mich. Ich werfe den Diesel an, lege den Hebel auf den Tisch. Dann greife ich in den Salon, will mein Signalhorn packen. Das darf doch nicht sein! Erst ohne Licht und dann ändert er den Kurs so….
Ich will gerade die Nacht mit dem Lauten Schall des Signalhorns erfüllen als mir das Vorhaben des Fischers klar wird: Er nimmt gar nicht Kurs auf mich. Nein – er wendet um 180 Grad. Aber muss das so nah an einem anderen Boot sein?
Kurz darauf erlöschen wieder die Lichter des Fischers. Eine unheimliche Begegnung. Doch die Magie der Nacht braucht nicht lange und ich sitze wieder entspannt im Cockpit, genieße die Fahrt.
Bis etwa drei Uhr. Hin und wieder habe ich durchgerechnet wie lange ich mir die Bummelei noch leisten kann. Nun bin ich da wo ich um diese Zeit sein wollte. Wenn ich jetzt nicht wieder Motore schaffe ich es nicht mit der Tide zum Wattenmeer. Kaum läuft der Diesel hängen die Segel lose hinab, fangen an zu killen. So bringen sie nichts. Zudem ist das Killen nicht gut für die Nähte, das will ich ihnen nicht dauerhaft antun. Während uns der Diesel am Rande des Fahrwassers vorwärts schiebt löse ich Groß- und Fockfall. Mit dem Lifebelt an Deck eingehakt geht es aufs Vorschiff wo ich die Segel einhole.
Obwohl der Motor wieder läuft und die Ruhe damit Geschichte ist genieße ich die Nachtfahrt. Ich weiß jetzt schon: Gerne wieder. Bei Tag auf dem Wasser zu sein ist toll. Doch eine Nachtfahrt ist keineswegs weniger schön.
„Nachtfahrt bei solchen Bedingungen… gerne wieder. Besser wäre nur noch der richtige Segelwind. Aber auch so gut.“ (Logbucheintrag vom 16.08.2016)
Während ich mich Cuxhaven nähere nimmt die Zahl der Schiffe zu. Aufmerksam beobachte ich sie, immer bereit meinen Kurs zu ändern.
Mittlerweile zeigen sich die ersten Vorboten der Morgendämmerung. Doch mit ihnen ziehen auch zunehmend Wolken auf. Sollten sie mich nun etwa um meinen Sonnenaufgang auf dem Wasser bringen?
Auf Backbord zieht Cuxhaven an mir vorbei. Schon beeindruckend, an so einer Stadt bei Nacht vorbei zu segeln.
Für mich wichtig ist die Kugelbarke. Man erkennt sie auch bei Nacht dank der Scheinwerfer recht gut. Anders als zu früheren Zeiten brauche ich sie aber nicht etwa zur Positionsbestimmung. Ich habe sie mir allerdings als den Punkt auserkoren, ab dem ich mich zunehmend vom Fahrwasser entferne. Mein Ziel ist das Dithmarsche Wattenmeer, in diesem Fall in Richtung Gelbsand.
Während wir gemütlich dahin Dieseln beobachte ich die Horizonte. Während es voraus noch dunkel, fast schwarz ist, nimmt der Himmel im Osten eine zunehmende Blaufärbung an. Die Dämmerung hat begonnen, die Nacht ist vorbei. Glücklich lächelnd sehe ich mich um.
Was für ein Erlebnis. Das Frühe aufstehen will zwar geplant sein, doch solang man ausgeschlafen ist, ist so eine Nachtfahrt ein beeindruckendes und gleichzeitig zutiefst entspannendes Erlebnis. Glücklich wandert meine Hand über den Rumpf meiner Großen. Ich spüre, dass meine Entscheidung für sie die Richtige war. Jetzt, um diese Zeit hier zu sein… ich bin gespannt was der Tag noch für uns bereit halten wird.
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Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen am 16.08.2016.
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Ein herrlicher Beitrag! Vielen Dank, daß Du uns daran teilhaben lässt!
Noch 129 Tage bis Frühlingsanfang. Kann’s kaum erwarten.
Freut mich das es dir gefällt 🙂 Und der Frühling kommt schon… wahrscheinlich viel zu schnell. Will ja paar Sachen am Boot erledigen.
Viele Grüße,
Sebastian
Schön geschrieben. Der Weg vom Schlauchi zum Kielboot war wohl doch nicht so schwer.
Hm. Vielleicht sollte ich nicht erzählen wie der Tag weiter ging…. 😀
Aber im Ernst: Segeln selbst ist nicht schwer. Theorie habe ich mich recht gut vorbereitet. Revierkentnisse sammelt man nur vor Ort. Und Charakterlich habe ich alles nötige von BEA gelernt. 🙂
Viele Grüße,
Sebastian