Gemächlich schiebt der Dieselmotor Bea Orca durchs Wasser. In der Ferne beobachte ich einen Segler. Mit Spinnaker segelt er scheinbar dicht unter Land. Beneidenswert. Ich habe selbst hier draußen nicht genug Wind um wirklich zu segeln. Keine Chance. Selbst wenn ich meine Rollgenua hätte wäre es eng. Aber so, mit einer 5 Quadratmeter-Fock? Nein, keine Chance. Der Wind ist schwach. Mehr Flaute als alles andere. Ich schüttle den Kopf. Nein. Selbst ein Spinnacker würde hier nicht viel helfen. Ich habe eben ein schweres Boot, einen richtigen Panzerkreuzer. Und das ist auch gut so. Und überhaupt, wo will ich so schnell hin?

Sicher, heute noch Neuwerk zu erreichen wäre nett. Aber auch nicht mehr. Ob ich jetzt heute Abend oder morgen früh dort ankomme…
…Und bei dem schwachen Wind sind eben auch Ankerplätze kein Thema. Ich kann praktisch überall den Anker werfen. Die See ist ruhig, nur eine winzige Welle schwappt über die Sände. Während ich gemächlich Kurs Neuwerk nehme, fällt auch das letzte bisschen Neid von mir ab. Was für ein Abend um unterwegs zu sein. Da stört auch er eigentlich gar nicht laute Dieselmotor nicht weiter. Trotz der Abendstunde sind es noch immer über 25° Celsius. Ausgesprochen angenehm, Segeln nur in Rettungsweste und Badeshorts ist angesagt.
Begeistert sauge ich die mich umgebende Natur in mich auf. Dieses blau. Einfach… Ich versuche es in Gedanken in Worte zu fassen, doch es erscheint mir geradezu unmöglich.
So viele Fasetten von Blau. Hellblau, Türkis, Blau, Dunkelblau… alles läuft ineinander über, verschmilzt. Der Horizont ist nur eine ganz feine Linie, zu erkennen am Übergang zwischen zwei Blautönen.

Von hier könnte ich statt nach Neuwerk auch nach Helgoland segeln. Oder nach Schottland, Norwegen – oder über den Atlantik. Zugegeben, für mehr als maximal Helgoland ist Bea Orca aktuell nicht ausgerüstet. Doch trotzdem, das Gefühl der absoluten Freiheit bleibt. Ich kann mir keine andere Art zu reisen vorstellen die so viel Freiheit verheißt wie zu segeln. Mit meinem Boot könnte ich um die Welt, davon bin ich überzeugt. Nicht auf den extremen Routen. Nicht mit der aktuellen Ausstattung. Und vor allem: Nicht mit meiner Erfahrung. Aber Bea Orca… ja, die könnte auch das. Welches andere Art zu reisen bietet dieses Maß an Freiheit? Die Freiheit überall hin zu kommen – und das ganz besonders dort hin, wo sonst niemand hin kann? Wo es keine Flüge, Busse und Züge gibt. Wo es keine viel zu oft ausgetretenen Pfade gibt? Mit Bea Orca beginnen meine Wege dort, wo die eines jeden Landreisenden enden. Hier, auf See, bin ich wahrlich frei.

Irgendwo laß ich mal, das es auf dem Wasser keine ausgetretenen Pfade geben kann. Selbst wenn schon tausende vor einem den gleichen Weg gesegelt sind – eine Welle später ist die Spur verwischt. Eine Böe später die See eine andere. Ein schöner Gedanke. Und obwohl es im Wattenmeer dank der markierten Wattfahrwasser nicht so ganz stimmt: Irgend etwas ist doch auch hier daran. Denn dank des sich ständig wandelnden Wattenmeers ist es eben doch immer ein wenig anders, muss man eben doch immer darauf achten ob die Pricken denn tatsächlich noch richtig stehen. Sie sind eine große Hilfe – doch am Ende muss man sich den Weg selbst suchen. Was dies doch für ein Gefühl ist. Ein Gefühl der Freiheit.
Gemächlich drehe ich Bea Orca’s Bug ins Wattfahrwasser nach Neuwerk. Nun liegt die grüne Insel voraus. Ob ich es noch schaffe?
Ein Blick auf die Uhr später schüttle ich den Kopf. Wohl eher weniger. Aber was soll’s, der Wind ist mittlerweile komplett eingeschlafen. Ich werde einfach sehen wie weit ich komme und mir dann ein ruhiges Plätzchen suchen um den Anker zu werfen. Vielleicht auch über Nacht trocken zu fallen. Mal sehen. Und in der Morgendämmerung wird das Wasser sowieso wieder hoch genug sein um bis zum Anleger zu kommen.

Gelassen löse ich das Groß- und Fockfall. Zeit die Segel zu bergen. Auch das letzte Lüftlein ist erstorben, sie hängen nur noch nutzlos hinab. Und so gehe ich aufs Vorschiff um sie richtig runter zu bekommen.
Zurück im Cockpit lege ich wieder den Gashebel nach vorne. Behutsam näheren wir uns der Insel. Die Tiefenanzeige auf dem Echolot sinkt zunehmend, bald schon sind wir unter einem Meter – unter den Kielen. Fürs Wattenmeer noch immer viel Wasser. Die Anzeige auf dem Tablett bezüglich der Wassertiefe wechselt von Blau auf Grün. Auch gut. Ich habe das Watt hier bei Niedrigwasser schon von Neuwerk aus gesehen. Glatt. Und ich bin hier in Zone Zwei, darf also trockenfallen. Bei einer Wassertiefe von 0,5 Metern unter den Kielen und somit insgesamt 1,3 Metern nehme ich die Fahrt aus Bea Orca. Nachdem sie fast stillsteht begebe ich mich aufs Vorschiff zum Ankerkasten und lasse ihn hinab. Mittlerweile treiben wir ganz langsam nach hinten und so zieht sich der Anker von selbst ein. Schließlich ist Kette und Leine draußen, ein Rucken ist nicht zu spüren. Bei der Flaute kein wirkliches Wunder.

Zurück im Cockpit kratze ich mich am Kopf. Wo ist nur der lange Bootshaken hin? Ich habe zwei. Einen festen, etwas kürzeren – und einen ausfahrbaren, langen. Mit dem langen konnte man wunderbar die Wassertiefe ums Boot überprüfen um zu wissen, ob der Untergrund wirklich eben ist. Doch ich kann ihn nicht finden. Seltsam. Ich habe ihn seit dem Trockenfallen vor eine Woche nicht mehr genutzt. Und auf Neuwerk habe ich ihn noch gehabt…

Nun, wie auch immer, es lässt sich nicht ändern. Kurzerhand ziehe ich das doch gerade erst angezogene Fleezeshirt wieder aus, lasse mich die Badeleiter hinab und begebe mich ins angenehm warme Nass. Der Boden ist weich, aber sandig. Kein Schlick. Das Wasser reicht mir bis zur Brust. Mir gleichmäßigen Schritten laufe ich einmal vom Bea Orca herum. Doch egal wo ich stehe: Das Wasser reicht mir bis zur Brust. Perfekt. Hier können wir heute Nacht problemlos trockenfallen.

Zurück an Bord bereite ich mir ein paar Spaghetti mit Tomatensoße und etwas Käse zu. Einfach – aber lecker. Während die Sonne über der weiten See untergeht und ich lesend im Cockpit sitze merke ich, wie die leichten Bewegungen meiner Großen aufhören. Erst fällt es mir gar nicht auf, so sanft setzt sie auf. Wir sind trockengefallen. Alles ist gut.
Ich lese noch die aktuelle Seite zu Ende, dann lege ich mich mit einem zufriedenem Lächeln in meine Koje. Alles ist gut. Was für ein Tag. Die Zeit auf dem Wasser ist das, was ich in Erinnerung behalten werde. So schön… Und so frei…
Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen am 25.08.2016.
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Wunderschön geschrieben!
Ich lese seit wenigen Tagen deinen Blog mit und bin einfach fasziniert.
Ich segle selbst eine 30-Fuss-Contest in den Neuenburgischen Gewässern in der Schweiz, doch mein Traum ist es, selbst einmal in der Nordsee segeln zu gehen.
Zwar nicht mit unserer 1,8m-Tiefgang-Oma, aber mit einem gemieteten Boot.
Deine Ausführungen machen immer mehr Lust darauf.
Ich freue mich auf den nächsten Eintrag.
Vielen Dank für deine Schilderungen und einen schönen Tag,
Michelle
Freut mich wenn es Lust auf’s Revier macht. Es ist einfach herrlich hier!
Chartern wird aber meines Wissens nach an der deutschen Nordseeküste schwer. Da würde ich dann eher in den Niederlanden mit ihren Plattbodenschiffen gugen ob ich etwas finde… aber ich bin mir sicher, das wird schon. Kommt her, es lohnt sich 😉
Viele Grüße,
Sebastian
So entspannt solle man das Watt erleben Ich hatte allerdings die Tendenz solange mit dem Kimmkieler zu fahren bis ich fest aufsaß. Allerdings immer mindest 90 Min nach Hochwasser. alledings hatte ich mal abends bei HW 70cm unterm Boot und kam morgend trotdem nicht weiter hinter Wangerooge Ort Habe den Anker eingegraben bin zurückgeflogen tolle Luftaufnahmen nach Drei Tagen bei HW 45 cm bei Ende der Nipp entspannt zurück nach Horumersiel.
Lalalalala! Das will ich nicht hören! Also das mit dem nicht weg gekomme. Weil weißt du, ich wohne auf dem Boot.
Und im Ernst: So extrem hätte ich tatsächlich nicht erwartet. Werde also noch mal genauer die Wasserstandsmeldungen des BSH verfolgen wenn ich im flachen unterwegs bin. Wobei vermutlich auch einfach ein größerer Sicherheitspuffer viel helfen kann…
Viele Grüße,
Sebastian
Moin Sebastian, das hast Du soooo schön geschrieben. Ich komm ins träumen und Erinnerungen kommen wieder hoch. <3…es war früher so schön….gesegelt zu haben ….<3. Ich wünsche Dir und deiner "Bea Orca" noch viele so schöne Momente !!! Liebe Grüsse Marga
Danke! 🙂 Es gibt nichts schöneres…