Den Vormittag verbummle ich mit Lesen, im Internet surfen und einfach entspannt in der Koje liegen. Es schüttet und ich verlasse die gemütliche Kajüte nur um aufs Klo zu gehen. Doch ist dies nicht der eigentliche Grund meiner Untätigkeit: Ich warte auf die passende Tide. Mein Ziel für heute ist Osten. Der Wind pustet kräftig aus Nord, für meine Erfahrung ist es zu viel um auf der Außenelbe zu segeln. Auf Höhe Cuxhaven sind Böen von 60 km/h gemeldet – 7 bft!
Doch die Oste, besonders wenn ich weiter nach Süden komme, sollte eigentlich gut unter segeln gehen. Kurs zwischen halbem Wind und Vorwind, vier bis sechs Windstärken… passt. Obwohl die Tide hier nicht so stark ist wie auf der Elbe warte ich aber doch lieber auf auflaufendes Wasser. Alles andere würde wenig Sinn machen, außerdem müsste ich gegen den Strom wohlmöglich die Maschine mitlaufen lassen. Eine Vorstellung die mir so gar nicht gefällt.
Um kurz vor eins landet die Klokarte im Briefkasten des Hafenmeisters, dann löse ich die Leinen und lege ab. Ganz so einfach wie gehofft ist es allerdings nicht. Der Wind pustet hier, nahe der Mündung noch kräftig und ich muss ihn bei meinem Manöver berücksichtigen. Begeistert stelle ich fest, das es mir trotzdem gut gelingt. Die Lernerfolge sind, gerade am Anfang, doch erstaunlich.
Ich wende um 180° und nehme Kurs Süd. Auf nach Osten!
In Vorfreude auf den bevorstehenden Segelschlag greife ich zur Leine und rolle die Genua aus. Nicht ganz, nur ein Stück – der Wind ist stark und zumindest für den Anfang will ich Motorsegeln.
Aber was ist das? Das kann doch nicht….
Ich lasse die Pinne los, laufe aufs Vorschiff. Nein, oder?
Die Genua in meinen Händen blicke ich auf den alten Stoff. Das Tuch war vor Törnbeginn beim Segelmacher. Wegen einem Riss am Unterliek. Der Segelmacher hatte ein neues Stück Segeltuch über den alten Riss genäht. Und genau an der Naht dieses Flickens hat sich ein neuer Riss gebildet. Ich fluche während ich zurück ins Cockpit renne um wieder Kurs in Richtung Flussmitte zu nehmen. Denn meine Bewegungen auf dem Vorschiff haben für eine Kursänderung gen Ufer bewirkt.
Wie kann das sein? Natürlich, das Tuch ist uralt. Der Verkäufer hatte sogar angedeutet das es gut sein könnte, das dies noch die aller erste Segelgarderobe dieses Bootes sein könnte. Kann ich mir kaum vorstellen – eine Rollgenua in den 70ern?
Aber alt ist sie, das stimmt. Doch hab ich sie gerade erst vom Segelmacher nach einer Reparatur geholt. Und seit dem ist die erst 50 Seemeilen gesegelt! Das kann doch nicht sein – besonders nicht an der gleichen Stelle!
Frust übermannt mich. Soll es das gewesen sein? Einen Törn nur mit Groß mit einer Leisure 22? Das macht wohl eher wenig Sinn.
Wütend sehe ich zur eingerollten Genua. So doof.
Dieselnd geht es um die erste Kurve. Der Strom und die Natur um mich lässt mich tief durchatmen. Nicht etwa das ich mich nicht noch immer ärgern würde. Auch der Frust mag nicht so recht verschwinden. Aber mir wird klar, das ich mich in die Falsche Richtung bewege. Osten ist sicherlich schön – doch die Chance dort sein Segel zu bekommen dürften nahe Null gehen!
Gut wäre, käme ich nach Cuxhaven. Von dort käme ich gut nach Hamburg und Bremen. Allerdings soll der Wind morgen aus Westen kommen. Und bei sechs Windstärken aus West bis Nordwest auf der Außenelbe gegen an? Möglich? Bestimmt. Aber mit meiner Erfahrung erscheint es mir gewagt.
Perfekt wäre natürlich, käme ich direkt nach Hamburg. Zum einen male ich mir gute Chancen aus in der Hansestadt direkt ein Segel kaufen zu können. Und sei es auch ein gebrauchtes. Prinzipiell wäre dies wohl sogar möglich. Allerdings wäre es ein langer Schlag bei unstetem Wetter. Schlecht – aber keine Katastrophe. Immerhin gibt es zahlreiche Häfen auf dem Weg, die ich als Nothafen anlaufen könnte. Außerdem soll die Elbe ja in Richtung Hamburg auch etwas ruhiger werden.
Doch der Hauptgrund der gegen Hamburg spricht ist ein anderer: Ich müsste mitten in der Nacht los um die Strecke mit einer Tide schaffen zu können. Und mehr ist nicht drinnen. Den Großteil der Strecke würde ich wohl bei Nacht machen, eine richtige Nachtfahrt. Grob geschätzt würde ich wohl bis Höhe Stade, vielleicht sogar noch weiter bei Nacht unterwegs sein. Und zwar wirklich bei Nacht. Nein, das ist zu viel.
Aber was ist mit Brunsbüttel? Es ist ein größerer Ort, von dort sollte der Anschluss an den öffentlichen Fernverkehr nicht all zu schlecht sein. Es ist in Schleswig Holstein, somit ist die Ostseeküste nicht sonderlich weit – ein weiterer Pluspunkt denn, so vermute ich, da auf der Ostsee mehr Segelboote unterwegs sind als auf der Nordsee sollten dort doch auch mehr gebrauchte Segel zum Verkauf geboten werden.
Also Brunsbüttel. Außerdem hatte dies den Vorteil, das ich am stürmischen Wochenende in einem größeren Ort sein würde.
Allerdings bewegte ich mich nun mal noch immer in die Falsche Richtung. Um 05.00 Uhr hat die Brücke in Geversdorf noch geschlossen. Und selbst wenn nicht: Die Strecke bis zur Außenelbe muss ich ja morgen früh gegen den Strom. Da bin ich für jeden Meter dankbar, den ich nicht gegen an muss. Schließlich bedeutet dies auch so schon früh aufstehen.
Die Fender sind noch draußen, die Leinen passen auch noch und so nehme ich Kurs auf den Steg.
Doch eine der gemeldeten 7-Windstärken-Böen ergreift Bea Orca und drückt sie zur Seite, ich komme nicht an den Steg. Kurzerhand ziehe ich an der Pinne, bewege uns in Richtung des gegenüberliegenden Ufers. Am Ende fahren wir einen schönen Kreis, bevor ich erneut Kurs zum Anleger ablege. Doch dieses Mal habe ich eine deutlich längere Anfahrtstrecke eingeplant. Außerdem beobachte ich aus dem Augenwinkel das Ufer um mögliche Böen ausgleichen zu können.
Die Leine wird über die Klampe gelegt, der Motor ausgekuppelt. Da geht ein Ruck durchs Boot. Ich hatte noch grob geschätzt zwei Knoten fahrt im Boot – eigentlich viel zu schnell. Während ich nach vorne Eile um auch die Vorleine zu belegen überlege ich, was ich hätte anders machen können. Langsam anfahren? Nein, der Wind und vor allen die Böen hätte uns wohl wieder weggeschoben. Allerdings hätte ich kurz vor dem Überlegen der Leine besser noch einen Moment den Rückwärtsgang eingelegt um aufzustoppen. Nächstes mal. Anlegen bei bis zu sieben Windstärken Seitenwind…. gibt bestimmt leichteres.
Zurück im Boot öffne ich ein Glas Nutella und beginne darin zu löffeln. Das Bild eines frustrierten Sebastians mit kurzem Bericht landet auf Facebook.
Ich bin gefrustet, hab Angst. Angst, dass dies schon das Ende dieses Törns sein könnte. Was wenn ich am Ende doch nichts finde? Oder zumindest nichts, was fair bepreist ist. Ich hab eigentlich keine Lust für einen alten Lappen der jederzeit reisen kann mehrere Hundert Euro zu bezahlen. Nicht bei der kleinen Segelfläche…
Ich rufe meine Eltern an, erzähle ihnen was erzählt ist. Lasse mir Mut zusprechen. Das können sie gut.
Schließlich beginne ich aber doch noch auf den gängigen Kleinanzeigenprotalen nach Segeln zu suchen. Tatsächlich, meine Annahme scheint sich zu bestätigen. Ostseeküste und Hamburg, da gibt es tatsächlich ein paar. Aber wie ist das mit den ganzen Daten? Die Segelfläche für Genua und Fock kenne ich von Wikipedia. Aber die Liekmaße… woher soll ich das bitte wissen?!
Schließlich zucke ich mit den Schultern, gehe an deck und rolle die Genua aus, um sie bergen zu können. Das kaputte Tuch wird auf dem Steg ausgebreitet wo ich mit dem Metermaß beginne Vorliek und Unterliek zu vermessen. Die Angaben landen sogleich im Logbuch:
Vorliek: 7,35 Meter
Unterliek: 3,50 Meter
Auf dem Weg vom Klo zurück zum Boot laufe ich dem Hafenmeister über den Weg und bezahle sogleich für eine weitere Nacht. Wir kommen ins Gespräch und er erzählt von seinen Erfahrungen in der Berufsschiffahrt. Interessant – und vor allem eine gute Ablenkung.
Schließlich bin ich wieder an Bord, koche mir eine Dose Ravioli, die mir der Voreigner vermacht hat. Dessen Süßigkeitenvorräte hatte ich schon am ersten Wochenende auf dem Boot verputzt, dies (und eine Flasche Wasser) sind die einzigen verbliebenen Lebensmittel von ihm an Bord. Zum selbst richtig Kochen kann ich mich nicht aufraffen.
Während ich esse sehe ich auf Facebook vorbei. Und kann es kaum glauben. Meine Leser sind einfach die besten! Da wurden Tipps gegeben, Links zu möglicherweise passenden Gebrauchtsegeln von verschiedensten Websites mir zugeschickt. Und, ich saß mit offenem Munde vor dem Smartphone. Man bot mir sogar an, mir für den Rest der Saison ein Segel zu leihen!
Doch zeigte sich recht schnell, das die betreffenden Segel (obwohl Sturmsegel) zu groß für Bea Orca waren. Trotzdem – so viel Unterstützung… spätestens jetzt war das letzte bisschen Frust verflogen. Ich würde schon etwas finden. Ich hatte für solche Sachen ja extra ein entsprechendes Budget eingeplant. Auch wenn ich gehofft hatte mir im Winter entweder gute Gebrauchte oder etwas neues kaufen zu können – und nicht jetzt, schnell schnell. Aber egal. Hauptsache mein drei Wöchiger Törn endet nicht nach einer halben Woche.
Schließlich kuschle ich mich recht früh in meinen Schlafsack. Der Wecker würde früh klingeln und ich will für den Schlag nach Brunsbüttel fit sein. Auch wenn es nicht mitten in der Nacht sein wird – ich werde mit beginn der Dämmerung ablegen müssen.
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Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen am 09.08.2016.
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Oh nein, wie ärgerlich mit dem Segel. Dennoch wünsche ich dir viel Glück weiterhin auf deinem Törn. Finde deine Berichte spannend und schaue gerne vorbei.
Liebe Grüße und alles Gute
Hannah
Danke. 🙂 Keine Sorge, es geht weiter. Immerhin war ich noch ein wenig unterwegs. Rückwirkend kann ich über so manches lachen, doch da ich versuche die Beiträge so zu schreiben wie es mir in dem Moment (09.08.) ging, halte ich so etwas aus den Beiträgen raus. Also: Keine Sorge, ich hab noch genug für die Bastel-Saison…. 🙂
Viele Grüße,
Sebastian