Es beginnt gerade zu dämmern als ich um fünf Uhr die Leinen löse. Der Flutstrom setzt ordentlich, ich bin gespannt ob ich es gegen ihn aus der Oste raus schaffe. Und das rechtzeitig! Immerhin müssen meine 7,5 PS ganze eineinhalb Tonnen Boot bewegen. Rechne ich da noch die Ausrüstung und mich dazu, so kommt man schnell auf an die zwei Tonnen. Für so einen kleinen Motor…
Doch zunächst geht es vorwärts. Ich fahre den Diesel auf 2/3 seiner möglichen Leistung und komme mit immerhin 2 Knoten über Grund vorwärts. Zwar noch nicht beruhigt aber doch etwas erleichtert entspannte ich mich im Cockpit. Noch ist es recht düster und ich muss genau auf den Kurs achten. Wichtig auch das Echolot. Zwar ist die Oste prinzipiell recht tief, um aber nicht den stärksten Strom mitzunehmen halte ich mich eher am Rand.
Eine leichte Briese streift durch mein Haar. Wind! Ich könnte doch…
…kurzerhand befreie ich das Groß und ziehe es am Fall nach oben. Das erste Reff ist noch eingebunden. Nicht das es im Moment nötig wäre. Und ehrlich gesagt, so ganz ohne Vorsegel, bezweifle ich das es später nötig sein wird. Doch sicher ist sicher. Außerdem mag ich dafür nicht auf dem Vorschiff herum turnen. Auch so merke ich den Unterschied. Zwischen den gelegentlichen Böen herrscht zwar immer noch Flaute, doch greift eine Böe ins Segel schiebt sie gut mit. Einen halben bis ganzen Knoten mehr macht das – und so kommen wir tatsächlich gegen den Ostestrom auf 3 Knoten über Grund!
Je näher wir dem Ostesperrwerk kommen, desto langsamer wird Bea Orca.
Schließlich, im Bereich unter der Brücke bleibt sie fast stehen. Auf dem Tablet wird keine Geschwindigkeit mehr angezeigt, das Tempo ist unter einen Knoten gesunken. Wir stehen nahezu still. Nahezu.
Über etwa einhundert Meter geht das so, dann merke ich wie wir wieder beschleunigen. Wir sind durch. Ich atme auf. Doch nicht lange, denn dieses Stück hat uns viel Zeit gekostet. Bald geht schon die Sonne auf. Ich hab nur noch knapp über eine Stunde um die Oste zu verlassen. Ansonsten packe ich es nicht mehr rechtzeitig bis Brunsbüttel. Und: Beim aktuellen Geschwindigkeitsschnitt schaffe ich die Strecke nicht!
Nachdenklich schaue ich zum Backbordufer. Hier wachsen zahlreiche Bäume, ein richtiger Wald. Sobald ich daran vorbei bin sollte der Wind auffrischen. Ich kann es nur hoffen, denn ohne ihn habe ich keine Chance mehr.
Anschließend wandert mein Blick zum Steuerbordufer. Die Wolken überm Deich haben schon eine deutliche Rotfärbung angenommen. Irgendwie schön. Es ist sechs Uhr als ich endlich den Wald hinter mir habe und in der Flussmündung bin. Und tatsächlich, der Wind frischt etwas auf, schiebt gut. Trotzdem ist es noch extrem knapp und ich überlege, ob ich nicht versuchen sollte zu schnippeln. Wenn es knappt könnte ich mir einen guten Teil der Strecke sparen. Allerdings habe ich den genauen, aktuellen Wasserstand nicht im Kopf. Und laut Seekarte wäre es verdammt knapp – im besten Fall! Und wenn ich auflaufe…. dann habe ich gar keine Chance mehr.
Nach kurzem abwägen entscheide ich mich dagegen. Es ist knapp, aber ich hab noch eine echte Chance es zu schaffen. Das Risiko ist mir zu groß, obwohl ich beim auflaufenden Wasser ja auch auf einer Untiefe nicht lange aufsäße.
Während wir uns weiter raus bewegen überholt uns ein Motorboot, das sich schön brav ans Fahrwasser hält – und mich damit in meiner Entscheidung bestätigt.
Schließlich geht es um eine Kurve und ich berge das Segel. Wir müssen jetzt ein Stück gegen den Wind, da nutzt es nichts. Und schlimmer noch, ich bilde mir ein es würde leicht bremsen!
In der nächsten Kurve übersehe ich eine Boje und schnipple unabsichtlich. Es passiert was passieren musste, das Echolot piepst und Sekunden später hängen wir im Schlick. Einmal kurz volle Kraft rückwärts reicht, Bea Orca zieht sich zügig aus dem Dreck und zurück in tieferes Wasser. Ich gehe auf Distanz und finde mich schnell im Fahrwasser wieder. Auf dem richtigen Wege geht es nun weiter, mit direktem Kurs auf die Außenelbe. Endlich kann auch das Segel wieder gesetzt werden. Die Zeit rennt, mein Zeitfenster schließt sich in wenigen Minuten. Natürlich habe ich einen Puffer. Der ist aber bis Brunsbüttel sind nur dreißig Minuten groß – nicht gerade viel. Der Wind schiebt erneut mit und wir nähern uns zügig der Außenelbe.
Uns trennen nur noch etwa einhundert Meter als die Uhr auf sieben springt. Verdammt. Mein Zeitfenster hat sich soeben geschlossen. Doch dann runzle ich kurz die Stirn und zucke mit den Schultern. Kein Grund päpstlicher zu sein als der Papst. Ich hab einen Puffer von 30 Minuten eingeplant. Wenn ich davon jetzt zwei Minuten auf der Oste benutze macht das keinen Großen Unterschied. Besonders da der Ebbstrom ja nicht sofort mit voller Kraft setzen wird.
Kaum sind wir draußen, der Kurs von Nord-Nordwest auf Ost geändert, schiebt der Flutstrom gewaltig. Und so schießen wir mit über fünf Knoten in Richtung Osten. Schließlich bücke ich mich schulterzuckend und stoppe den Motor. Geschwindigkeitsunterschied: Fast null. Und beim aktuellen Tempo sollte ich es gut bis Brunsbüttel schaffen ohne weiter an meinem Puffer zu knabbern. Und wenn es doch eng wird kann ich den Diesel ja wieder starten. Aber für den Moment genieße ich die ruhe, die Wind in den Haaren, das leichte Schwanken des Bootes in der sanften Welle…..
Doch schon bald ziehen dunkle Wolken auf. Schwere Regenschauer gehen auf mich nieder, reduzieren die Sicht. Wie aus Eimern läuft das Wasser am Segel hinab, große Tropfen trommeln aufs Boot. Ich bin froh mein Ölzeug an zu haben, bin glücklich es so warm zu haben. Und, noch wichtiger: Trocken zu bleiben.
Immerhin: Die Sicht ist nie so schlecht, als das ich andere Boote nicht rechtzeitig sehen würde. Und als es um kurz vor Acht Zeit ist das Fahrwasser zu queren sind die Fronten vorbei. Ich quere das Fahrwasser frühzeitig, will nicht riskieren gegen den Strom zu müssen. Was wohl nicht klappen würde. Ohne das auch nur ein Tanker in meiner Nähe kommen würde erreiche ich die andere Fahrwasserseite. Dabei bin ich weiter westlich gelandet als angenommen. Doch es ist nicht mehr weit, ich starte den Diesel und berge das Groß. Dann sehe ich nachdenklich auf mein Tablet. Seltsam – ich bin verdammt langsam. Das kann eigentlich nur noch die Tide sein. Aber der Motor läuft. Was zum…
Ich schlage mir die Hand vor die Stirn. Natürlich!
Ich ziehe am Schiebeschalter und kopple den Motor ein. Dann wieder Gas vorwärts und schon schiebt sich Bea Orca durchs Wasser. Doof. Aber passiert.
Nah unter Land nähern wir uns dem Hafen. Doch als wir nur noch wenige Meter von der Hafeneinfahrt entfernt sind stört mich etwas. Da ist eine Pricke – die weiter vom Ufer entfernt ist als ich!
Ich habe die Ansteuerung aus dem Törnführer im Kopf, vor Unterwasserhindernissen wird nicht gewarnt. Doch kann ich mir nicht vorstellen, das die Pricke nur Deko ist. Wenn die da steht…
Sofort reiße ich den Hebel nach hinten, stoppe auf.
4 Knoten…. 3 Knoten…. 2 Knoten….1,… Knoten…..
Ein Ruck geht durch Bea Orca, wir sind aufgelaufen. Und so wie sich das angefühlt hat nicht in weichen Schlick! Ich habe gespürt wie sich der Bug deutlich nach unten gebeugt hat! Dann Reißt der Dieselmotor sie mit aller Kraft rückwärts. Ich bin froh das die Tide bald kentert. So ist der Flutstrom nur noch schwach. Andernfalls wäre ich hier nicht mehr raus gekommen… ein Schauer durchzieht mich.
Sobald wir weit genug zurück sind lege ich den Vorwärtsgang ein und halte aufs Offene Wasser zu. Mit deutlich Abstand zur Pricke geht es in den Hafen.
Ich ärgere mich. Was war da unter Wasser? Konzentriert sehe ich mir die Seekarte an. Und tatsächlich, sieht man genau hin kann man eine feine, schwarze Linie erkennen. Sie ist nicht sehr lang, nur wenige Millimeter. Und im Revierführer steht über dieses ja doch für Boote gefährliche Hindernis: Nix! Ich fluche. Über den Revierführer. Aber vor allem über mich. Ich hätte nicht nur den Weg hier her planen und den Revierführer studieren, sondern auch den Bereich um die Hafeneinfahrt im Voraus genau ansehen sollen. Das hätte ich mir sparen können. Ich habe mich gerade etwas beruhigt als ich mich daran mache und den Rumpf im Bereich der Kiele kontrolliere. Zwar hatte ich schon stark abgebremst – zum Glück! – trotzdem, ich bin da auf was festes gelaufen. So wie es aussieht Steine.
Doch ich atme auf. Es ist trocken – und Risse kann ich auch keine Entdecken. Noch mal Glück gehabt.
Puh.
[jetpack_subscription_form]
Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen am 10.08.2016.
Hat’s euch gefallen? Dann abonniert meinen Blog via mail, folgt mir auf Facebook und lasst einen Kommentar da. 🙂




