Schönes schlechtes Wetter

Am Ortsausgang sehe ich ein paar Schafe, die gemütlich Graß futtern. Irgendwie fasziniert mich der Anblick, und ich beginne ihre Kaubewegungen nachzuäffen. Zwischendurch stoße ich immer wieder ein „Määääääääh“ aus, das diese wuschligen, weißen Wollknäuel nicht zu beeindrucken scheint. Die kauen einfach weiter – und guggen mich doof an. Ich gugge doof zurück. Darin bin ich echt gut.

Määäääh!

Määäääh!

Kurz hinter dem Ortsausgang bietet sich mir ein trauriger Anblick. Aufgebockt stehen dort, in Reih und Glied, Boote. Motorboote, Segelboote, große Boote, kleine Boote… und sie alle – an Land! Und das bei blauem Himmel! Das Wetter ist so schön, da tut es mir weh all diese Schönheiten an Land stehen zu sehen. Natürlich, es ist noch etwas früh… trotzdem. Ich hätte mich gefreut, wenigstens ein paar Boote im Wasser liege zu sehen. Da gehören sie hin, da fühlen sich Boote wohl. Eigentlich logisch, oder? Doch an diesem Leiden kann ich nichts ändern. Außerdem ist es ja eigentlich normal… ich bin es nur nicht gewohnt, Boote an Land zu sehen. Jedenfalls keine wie diese. Ein Schlauchi? Ja. Ein Kanu? Kein Thema. Aber eine Segel- oder Motoryacht? Nein. Und ich kann mir im Moment auch nicht vorstellen, das sich dies alsbald ändern wird.

:(

🙁

In der Ferne sehe ich, wie sich dunkle Wolken nähern. Na klasse. Ich habe den Kanal nach Workum schon fast erreicht – die Wolken machen mir die Entscheidung leicht. Es geht über De Fluezen. Vielleicht ist’s nur eine kurzzeitige Verschlechterung des Wetters, vielleicht ziehts jetzt aber auch zu. Und über De Fluezen bin ich schneller. Außerdem: Notfalls kann ich auf den Marrekrite-Inseln Wild Campen. Ist zwar eigentlich nicht erlaubt, aber zum einen kennt Not kein Gebot… zum Anderen: Wer soll sich beschweren? Ich bezweifele, das noch mal jemand mit mir einen Marrekrite-Platz teilt. Jedenfalls während dieses Törns. Kaum öffnet sich der Kanal vor mir erreichen mich auch die Wolken. War das nicht irgendwie klar? Ich will mich ja nicht beschweren, aber warum kommen die kaum Fahre ich auf offenes Wasser? Ist ja nicht so, als wäre das kein bisschen Unheimlich. So als wolle der Wettergott mir etwas sagen. So was wie… „Sebastian, du bist bescheuert! Lass den Scheiß!“. Nur zu doof, das ich keine Ahnung habe wovon er redet. Den Törn kann er ja nicht meinen. Dafür ist’s hier viel zu schön – und ich habe viel zu viel Spaß.

Sicherheitshalber schlüpfe ich eilig in die Jacke meines Ölzeugs – die Hose trage ich bereits. Man weis ja nie, und ich kann auf Wasser – von Oben wie von Unten – gut verzichten. Soooo warm ist es dann doch nicht. Besonders jetzt, wo Wolken aufgezogen sind.

Ob das wohl ein böses Omen ist?

Ob das wohl ein böses Omen ist?

Zu allem Übel taucht nun auch wie aus dem Nichts Wind auf. Und zwar nicht eine Schwache Priese – sondern ordentlich! Und, man muss es eigentlich gar nicht sagen: Direkt von Vorne. Natürlich. Aber mal ehrlich – hat schon mal jemand mit einem Gummiboot gepaddelt und der Wind kam NICHT von vorne? Ich hab das Gefühl, das ist immer so. Und wenn ich um 180° drehe – ja, genau, dann kommt er immer noch von vorne. Nun, eigentlich nicht, aber während ich allmählich raus aufs Wasser paddele kommt es mir so vor. Wäre es nur der Wind, alles halb so Wild. Aber die Wellen heben immer wieder meine Kleine an. Kaum hat sie dann mit aller Müh und Not den Berg erklommen, wie die Kämpferin die sie ist (an dieser Stelle bitte ich um Respekt für meine Kleine – das hat sie echt gut gemacht!) purzelt sie wieder runter. Und damit meine ich, sie knallt, Bug voran, ins Wellental. Gefolgt von Wassertropfen, die durch die Luft spritzen. Auf mein Ölzeug. Immerhin: Das ist nach wie vor Dicht. Wäre ja noch lustiger sonst.

Schließlich bemerke ich, das ich relativ weit draußen bin. Wenn ich jetzt über Bord fallen würde könnte ich nicht mehr ans Ufer schwimmen. Im Sommer wäre das vielleicht noch zu machen. Okay, mit ziemlicher Sicherheit –Fett schwimmt ja oben. Aber jetzt? Ne, ich wäre erfroren bevor ich am Ufer wäre. Glücklicherweise hatte ich nicht vor über Bord zu gehen. Trotzdem achte ich noch mal mehr darauf, gut an Bord zu sitzen.

Einen tiefen Atemzug später fällt mir noch etwas auf: Es ist unglaublich schön hier. Klar, die Wolken sind beschissen. Einerseits. Weil kühl. Aber… sie stehen der Landschaft unglaublich gut. Würde die Sonne scheinen, wäre es schön. Aber so ist es… was besonderes. De Fluezen – leergefegt, nicht ein Boot zu sehen. Am Ufer, Steine und Schilf. Überall Wellen, teilweise sogar kleine Brecher. Man sieht wie der Wind über die Landschaft fegt, die von dunklen Wolken zugedeckt wird. Es ist… Wild. Und wirklich, wirklich schön.

Mit aller Kraft geht es weiter nach Süden. Jede Welle will bekämpft – und früher oder später besiegt – werden. Bis kurz bevor sich der Seitenarm öffnet und auf aufs „offene Meer“ hinaus geht, wird es kaum noch zu machen. Die Wellen drücken nun ähnlich stark wie gestern auf BEA und mich. Da ich relativ nah am Ufer bin kann ich die Entfernung relativ gut schätzen. In zehn Minuten schaffe ich nur wenige Meter. Es ist… frustrierend. So schön es auch ist – ich will voran kommen.

Paddeln…. Wums…. Paddeln… Wums… Paddeln…

Plötzlich bin ich raus, auf dem „offenen Meer“. Und hier ist alles ganz leicht. Der Wind kommt nicht mehr direkt von vorne und die Wellen sind deutlich kleiner.

Ich spüre einen Druck – und mir wird klar, dass ich so schnell wie möglich anlegen sollte. Ein Liter Milch ist durch meinen Körper gerast und will ihn verlassen. So schnell wie möglich. Am besten schon vor zehn Minuten. Oder einer Stunde. Nur da war ich halt mit paddeln beschäftigt. Da hab ichs nicht bemerkt. Aber jetzt.

Ich. Muss. Aufs. Klo. Schnell!

Mit zusammengedrückten Beinen schlage ich die Karte auf und suche die nächste Möglichkeit anzulegen. Denn am nächsten Ufer kann ich nicht fest machen. Alles voller Schilf. Da wäre ich am Ende in einer ähnlichen Situation wie gestern…

Mit kräftigen Paddelschlägen nehme ich Kurs auf die erste Marrekrite Insel – der nächsten Anlegemöglichkeit.

 

Die Ereignisse in diesem Teil geschahen am 09.03.2015

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Sebastian