Es ist der zweite April. Seit zweieinhalb Monaten wohne ich nun schon auf Bea Orca. Und habe seit dem nicht ein einziges Mal die Leinen gelöst. Die Gründe waren vielfältig. So war im ersten Monat zumeist Eis im Hafen. Und auch wenn Bea Orca dickes Laminat hat: Ich muss es nicht darauf anlegen und Eisbrecher spielen. Zudem hätte es bei Temperaturen die das Wasser im Hafen gefrieren lassen bedeutet, nach dem Schlag die Maschine wieder einzuwintern.
Zwar wurde es dann etwas weniger kalt, doch dafür kamen Stürme. Und mal ehrlich: Wer hat schon Lust bei sieben bis acht, teils gar neun, zehn und mehr Windstärken auf die Außenelbe zu gehen? Eben – niemand. Und so blieb ich auch weiterhin im Hafen. Doch dann, gegen Ende März wurde das Wetter plötzlich zunehmend gut. Und ich musste frustriert feststellen: Zwar hast du alles zum Leben nötige an Bord – aber noch nicht alles gesichert. Und so wurden einige Fächer seefest gemacht, ein paar Schlingerleisten montiert und auch sonst zugesehen, das alles auch bei Seegang an seinem Platz bleibt. Denn den beispielsweise den Kocher jedes Mal zum Segeln runter zu stellen? Darauf habe ich keine Lust.
Doch jetzt ist es endlich so weit. Der Wetterbericht meldet 2-3 Windstärken aus West, ein paar Wolken, sonst Sonne. Für Anfang April: Top. Leider ist schon Sonntag, morgen muss ich wieder arbeiten. Also nur ein kurzer Schlag. Und doch: Ich freue mich riesig drauf.
Um viertel vor Elf lege ich ab, die Brückenöffnung ist für elf Uhr angemeldet. Aber lieber mag ich vor der Brücke warten als zu spät dort zu sein.
Kaum sind Spring und Vorleinen gelöst geht Bea Orca auf reisen. Klar – im Hafen setzt ein Strom. Immerhin, die Richtung passt halbwegs. Schnell hinter ins Cockpit, die Heckleine loswerfen und raus steuern. Nur… warum treiben wir einfach weiter? Der Motor läuft doch! Es dauert einen Moment, doch dann dämmert es mir. Klar. Ich muss einkuppeln. Nicht zum ersten Mal habe ich das vergessen. Und kaum ist der Hebel bedient, bewegt sich Bea Orca kontrolliert. Zügig geht es zur Brücke, wo ich noch zehn Minuten warten muss. Doch die Zeit kann ich gut nutzen, die Fender werden eingeholt, die Sonne genossen, ein paar Bilder geschossen. Dann ist es so weit, die Schranken oben schließen sich, die Brücke beginnt sich zu öffnen. Endlich. Ich bin voller Freude auf das, was da kommt. Endlich segeln!
Kaum ist die Ampel auf Grün umgesprungen geht es los, raus aus dem Hafen.
Vorbei geht es an den größeren Schiffen zur Hafenausfahrt. Einmal einen langen Ton mit dem Horn, dann bin ich aus dem Hafen draußen. Noch querab der Alten Liebe rolle ich die Genua aus. Doch irgendwo hängt es – nachdem etwa die halbe Genua ausgerollt ist geht nichts mehr.
Eilig hacke ich mit fürs Vorschiff ein und laufe zur Genua. Vorne angekommen bin ich für einen Augenblick überrascht: Obwohl ich seit fünf Monaten nicht mehr auf See war bewege ich mich leichtfüßig und sicher auf dem Vorschiff. Nicht unvorsichtig, nein. Aber das klammern, die Nervosität… die ist verschwunden.
Auch der Versuch die Genua mit der Hand auszurollen scheitert. Bei einem Blick nach hinten erkenne ich den Grund: Ich habe scheinbar die Rollleine falsch eingefädelt und jetzt hängt sie fest. Kurzerhand lockere ich sie und rolle die restliche Genua mit den Händen aus. Dann geht es zurück ins Cockpit. Trotz meiner Turnerei auf dem Vorschiff hat Bea Orca auch ohne Pinnenpilot ihren Kurs gut gehalten. Eine geringfügige Anpassung, dann geht es weiter. Als nächstes möchte ich das Groß setzen. Doch hier geht nichts. Ein Blick zum Mast bringt sogleich die Erklärung: Ich habe das Groß nicht fertig angeschlagen! Das Großfall ist noch nicht am Segel befestigt. Und so geht es erneut nach vorne.
Endlich, es ist geschafft: Groß und Genua stehen. Wir haben gerade die Grimmershörner Bucht erreicht und segeln mit etwa halbem Wind nach Norden. Ein guter Wind, keine übermäßigen Wellen und Sonne – was will man mehr?
Entspannt sitze ich im Cockpit. Doch etwas juckt mich. Kurzerhand pike ich mich erneut in die Sicherungsleine ein und gehe aufs Vorschiff. Den Genuaroller habe ich gelöst und ziehe ihn bis zur Engstelle. Einmal durch, entknoten und wieder nach hinten legen. Da die Genua komplett ausgerollt ist geht dies recht unproblematisch – weiter rollen geht sowieso nicht.
Jetzt kann ich endlich den Segelschlag uneingeschränkt genießen. Sanft gleitet Bea Orca über die Wasseroberfläche, tänzelt geradezu spielerisch über die Wellen. Hie und da eine kleine Kurskorrektur, einen Stupser an die Pinne, ein zuppeln an den Leinen. Doch im Grunde segelt es sich wie von selbst.
Erst nach passieren der Kugelbake nimmt der Wind zu. Statt zwei bis drei Windstärken sind es nun eher drei bis vier. Und er kommt etwas vorlicher. Amwindsegeln. Um die zwanzig Grad Krängung. Meine Füße stehen auf der Gegenüberliegenden Cockpitbank. Nein, das ist mir auf Dauer zu viel. Zum Glück habe ich bereits den Genuaroller entknotet und so ist ein erstes Reffen ganz einfach. Dann noch das Groß ins erste Reff. Hierfür muss ich erneut aufs Vorschiff. Trotz ordentlich Krängung habe ich dabei einen sicheren Stand. Doch darüber dachte ich in dem Moment gar nicht nach. Das Groß wurde ein Stück herab gelassen, dann die Reffbändsel mit doppelten Kreuzknoten gesichert. Ab zurück ins Cockpit, groß durchsetzen – und erleichtert aufatmen. Wir segeln mit etwa zehn Grad Krängung, die Bewegungen von Bea Orca sind angenehm. Und doch, der Kurs ist anstrengend. Ich muss mich konzentrieren, wir segeln hoch am Wind.
Nachdenklich kratze ich mich im Bart. Dann: Grinsen. Ich will doch eh nirgendwo hin. Bin schon da, wo ich hin wollte: Auf See. Wofür also diesen unbequemen Kurs segeln?
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Jup. Deshalb kreuze ich auch gerne vor dem Wind. So von Raumschots zu Raumschots. Und zwischendurch ne Halse. Ehrlichgesagt habe ich die Genua noch garnicht ausgebaumt – wenn dann Schmetterling…
Hast du vor dem Wind noch keine Patenthalse gemacht ? Mit 20° vorm achtelichen Wind, daß das Vorsegel grade noch zieht, ist sicherer als genau davor mit ausgebaumter Genua.
Toll dein Blog, stolpere immer wieder mal über einen Beitrag von dir und freue mich darüber, danke und handbreit!
Ich bin halt ne Memme 😀 Ne ehrlich, ich segle am liebsten Aufrecht und zwischen halben Wind und vor dem Wind. Rest macht auch Spaß. Aber definitiv nicht so viel wie diese option. Und entsprechend versuche ich meine Schläge zu planen… 🙂
Viele Grüße,
Sebastian
Bei 4-5 und 20° steht doch der Leekiel erst senkrecht und das Boot nähert sich der Rumpfgeschwindigkeit also optimal für einen behäbigen Kimmkieler,