Willkommen im Wattenmeer

Ich nähere mich dem Dithmarschen Wattenmeer. Hier muss ich mich sehr konzentrieren, wir bewegen uns nah an einer ganzen Reihe von Sänden. Größtenteils ist das Wasser hier selbst jetzt, bei Niedrigwasser recht tief. Doch bei den Sänden steigt der Wasserstand sehr schnell stark an. Wenn ich hier nicht aufpasse besteht die Gefahr aufzulaufen. Ich bin froh bei Flaute und Niedrigwasser hier zu sein. Denn, so hoffe ich, selbst wenn ich einen Fehler mache besteht die realistische Chance mit heiler Haut davon zu kommen. Trotzdem: Lieber konzentrieren.

Ausgesprochen hilfreich dabei ist das GPS. Soweit möglich halte ich mich frei von den Untiefen. Dies ist aber nicht ganz einfach: Mein Ziel ist das Wattenmeer, eine einzige, riesige Untiefe.

Wie es wohl sein wird? An Orten mit dem Boot unterwegs zu sein, an denen bei Niedrigwasser kein Wasser ist? Eigentlich verrückt. Sehe ich auf die Seekarte für mein Ziel, dann sehe ich eine große, grüne Fläche. Trockenfallendes Watt. Mit gerunzelter Stirn sehe ich voraus. Eigentlich halten wir genau auf ein Wattfahrwasser zu. Selbst bei Niedrigwasser sollte hier noch genug Wasser stehen, damit ich mit Bea Orca ins Watt einlaufen können. Und das Wasser steigt schon wieder!

Doch wo soll das sein? Soweit ich erkennen kann halten wir direkt auf trockenes Watt zu. Wo ist nur das Wattfahrwasser?

Ich drücke das Fernglas auf meine Augen, suche das Watt ab. Laut GPS halte ich direkt drauf zu. Aber… da ist nichts!

Sandbank voraus. Aber wo ist das Wattfahrwasser?

Sandbank voraus. Aber wo ist das Wattfahrwasser?

Wir sind vielleicht einhundert Meter vom Wattenmeer entfernt, als ich eine Boje entdecke. Sie liegt hoch und trocken auf dem Sand. Sofort lege ich hart Ruder, der Rumpf dreht sich nach Nordwest. Hier komme ich nicht rein – keine Chance. Ein dickes Grinsen schleicht sich in mein Gesicht. Da heißt mich das Wattenmeer ja standesgemäß willkommen.

Aber was jetzt? Wir haben gerade Stillwasser, es ist nur noch eine Sache von Minuten bis der Flutstrom einsetzt. Wenn ich nicht bald ins Wattenmeer komme bleibt mir nur noch der Weg zurück in Richtung Cuxhaven.

Die Antwort erscheint offensichtlich: Statt durch das Wattfahrwasser kann ich auch um den Sand herum fahren. Das ist zwar einen ganzen zacken länger, sollte aber möglich sein. Und wenn nicht – nun, dann kann ich mir immer noch ein Ziel an der Außenelbe aussuchen.

Zwischen zwei Sandbänken hindurch schleiche ich mich über flaches Wasser ins Wattenmeer. Ein Seehund sieht mich aus dem Wasser an. Dann taucht er ab und ist verschwunden.

Ich habe es geschaft: Ich bin im Wattenmeer. Gelbsand liegt im Süden, ich lege erneut Ruder und wir fahren gen Osten. In die gerade jetzt aufgehende Sonne.

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Ich laufe gerade ins Wattenmeer ein als die Sonne aufgeht…

Warm legen sich die Strahlen des gerade beginnenden Tages über Watt und Wasser, streichen meine Haut. Was für ein Augenblick, er könnte nicht schöner sein.

Dieser Ort… er ist einfach traumhaft schön. Wie schon öfters auf diesem Törn greife ich zur Actioncam und beginne zu filmen.

Es ist, als hätte jemand meine Gedanken gehört. Doch dieses Mal werde ich nicht dafür bestraft.

Nur wenige Meter neben Bea Orca springt ein Delfin aus dem Wasser! Quitschend freue ich mich, bin ganz aufgeregt. Ein Delfin! Der Tag kann doch gar nicht mehr schöner werden!

Durchflutet von Glückhormonen sitze ich im Cockpit. Ich bin auf See, das Wetter ist gut, der Sonnenaufgang ein Traum. Ich habe es geschafft, habe das Wattenmeer erreicht. Und dann sehe ich auch noch erst einen Seehund und dann einen Delfin! Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden.

Screenshot von Video: Delfin springt aus dem Wasser!

Screenshot von Video: Delfin springt aus dem Wasser!

Gemächlich schiebt Bea Orca ihren Rumpf durchs Wasser. Die Sandbänke sind nahe und ich lasse es mir nicht nehmen mir das Ganze mit dem Fernglas näher anzusehen. Mich umgibt Natur pur. Es scheint als würde hier überall etwas leben. Vögel, Fische, Insekten, überall wuselt leben. Man kann es förmlich spüren.

Ölplattform im Wattenmeer. Eine von weitem sichtbare Landmarke...

Ölplattform im Wattenmeer. Eine von weitem sichtbare Landmarke…

Einzig die weit sichtbare Ölplattform stört mich. Sie scheint so gar nicht in dieses Naturparadies zu passen.

Während ich weiter nach Osten motore passiere ich einen Fischer. Er liegt gerade vor Anker. Frühstückpause? Was es wohl auf einem Fischkutter als Frühstück gibt? Doch hoffentlich keinen Fisch…. Während ich an ihm vorbei Diesel startet auch er seine Maschinen, hebt den Anker und beginnt zu fischen.

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Fischkutter im Wattenmeer

Die Sandbänke kommen zunehmend näher. Schon längst ist das Wasser keine einhundert Meter mehr breit. Auch tief ist es hier nicht mehr wirklich – aber für Bea Orca reicht es mehr als aus. Doch nahe der Tonne TF 14 endet meine Fahrt. Ich nehme das Gas aus dem Diesel, gehe aufs Vorschiff und löse den Anker. Hier ist es nicht wirklich tief und der Anker hält sofort. Trotzdem gebe ich die gesamte Kette und Leine. Ich mag die Leine nicht irgendwo einklemmen, befürchte solcherlei könnte ihre Haltekraft verringern.

Doch kaum ist auch der letzte Meter Leine draußen, begebe ich mich zurück ins Cockpit und schalte den Diesel ab. Ruhe. Zeit tief durchzuatmen. Es ist so wunderschön hier, ich weiß gar nicht wo ich als erstes hinsehen soll. Am liebsten würde ich, trotz der Motorgeräusche, sofort weiter durch dieses Paradies fahren. Allerdings muss ich von hier aus in einen trocken gefallenen Priel einlaufen. Im Moment ist im Süden, da wo ich hin will, nur Watt. Ein weiteres Problem ist, das ich die in der Karte eingezeichneten Pricken nicht entdecken kann. Doch dies, so beschließe ich, ist ein Problem für später.

Die Entscheidung darüber, was als nächstes zutun ist trifft mein Magen. Obwohl ich seit vielen Stunden wach bin habe ich noch nichts gegessen. Und so bereite ich mir ein Frühstück vor. Der Kocher wird im Cockpit aufgebaut, ein Ei aufgeschlagen und gebraten. Eigentlich einfach – doch hat das Salz an Bord mittlerweile schon ordentlich Wasser aus der Luft gesogen, ist feucht und dadurch schwer zu streuen. Letztlich gelingt es mir aber und ich genieße Rührei mit Pumpernickel im Cockpit.

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Kochen im Cockpit

Dabei lese ich mir die Ansteuerung von Friedrichskoog durch. Liest sich gar nicht mal so kompliziert – das sollte schon irgendwie klappen.

Im Anschluss greife ich zum Logbuch und beginne meine Erlebnisse und Gefühle der vergangenen Stunden aufzuzeichnen. Ich will alles festhalten solang es noch frisch ist. Die vergangenen Stunden… sie waren einfach zu schön.

Während das Wasser langsam Steigt und das Wattenmeer überflutet werde ich dann doch nervös. Wo sind die Pricken? Meine Seekarten sind knapp über einen Monat alt und ich hatte extra vor dem Törn mich noch einmal über Änderungen informiert. An einem verschwundenen Priel habe ich dabei aber nichts gelesen. Mit dem Smartphone gehe ich online, klicke mich bei ELWIS durch. Doch kann ich auch jetzt dort nichts finden.

Vor Anker im Wattenmeer...

Vor Anker im Wattenmeer…

Was jetzt? Die Sandbänke verschwinden mehr und mehr unter dem steigenden Wasser, schon bald wird der Weg frei sein. Erneut schleicht sich ein Grinsen in mein Gesicht.

Es ist wie es ist. Ich bin im Wattenmeer – da darf ich eben nicht erwarten das Seekarten exakt sind.

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Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen am 16.08.2016.

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Sebastian

4 Kommentare

  1. Hallo, ich verfolge sehr gerne deine Berichte und verfolge parallel zum Lesen deine Turns auf Seekarten. Daher hat mir die Angaben der Tonnen in diesem Bericht besonders gut gefallen. Bei den Berichten in Friesland musste ich öfters raten, welchen Kanal du nun genommen hast. Freue mich weiter auf möglichst genaue Routenbeschreibungen! Weiter so!

    • Freut mich das es dir gefällt 🙂 Mal sehen ob ich es schaffe öfters Seezeichen einzubauen. Ist ja kein Hexenwerk – ich muss mir nur beim Schreiben die Seekarte daneben legen 🙂
      Viele Grüße,
      Sebastian

  2. Moin, die Seekarten sind nicht unzuverlässig, da die Wattengebiete ständigen Veränderungen unterliegen, werden Tonnen und Pricken ggf. verlegt. Die Informationen dazu findest Du in den Bekanntmachungen für Seefahrer und den Nachrichten für Seefahrer, Berichtigungen für Papierkarten sind über das BSH zu beziehen. für elektronische ist der Lieferant zuständig das ist idR kostenpflichtig

    • Hallo,
      das ist mir soweit durchaus bekannt. Meine Seekarten waren noch relativ neu und ich hatte sie vor dem Törn noch mal aktualisiert. Natürlich – was sich unterwegs ändert…. nun ja, man hält ja seine Augen auf. Trotzdem war MEINE Seekarte – also die an Bord – nicht absolut zuverlässig. Obwohl kaum einen Monat alt und vom BSH. Da waren Sachen drinnen die definitiv schon vor dem Druck falsch waren – nachweißlich.
      Aber: Ich wusste ja, dass Seekarten im Wattenmeer kein „So ist es“ sind. Daher habe ich da weder dem BSH noch sonst jemandem einen Vorwurf draus gemacht – und hoffe, das dies nicht so rüber gekommen ist. Tatsächlich hab ich mich ja sogar ein wenig darüber Amüsiert… 😉
      Trotzdem danke für den Hinweis.
      Viele Grüße,
      Sebastian

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