Dumm – Einfach nur Dumm

Ein letztes Mal streife ich durchs Ost- und Nordvorland. Heute soll es weiter gehen. Die Wind haben auf gute 6 Windstärken aus Süd nachgelassen, der von BSH gemeldete Wasserstand sollte hoch genug sein um aus dem Hafen zu kommen… was will ich mehr.

Ich hatte schön Tage hier auf der Insel und fühle mich hier mittlerweile fast ein wenig heimisch. Aber: Ich will weiter. Zum einen bin ich eben Fahrtensegler. Und dazu gehört neben dem Segel, das die letzten Tage etwas kurz gekommen ist auch das Unterwegs sein. Viel mehr bewegt mich aber etwas anderes zum Aufbruch: Wir haben Springtide, ab sofort wird der Höchstwasserstand wieder fallen. Nicht gut bei der flachen Hafenausfahrt. Je länger ich auf der Insel bin, desto mehr sorgen mache ich mir, ob ich den Bauernhafen überhaupt würde verlassen können.

Nach einer Inselumrundung mache ich einen Abstecher zum Inselkaufmann, ein paar Doppelkekse kaufen. Was zu essen für unterwegs. Dann geht es zurück an Bord, wo ich die Stunden bis zum Aufbruch abwarte.

Frühstück

Die Stunde vor dem Aufbruch laufe ich zwischen Boot und Hafenausfahrt hin- und her. Soll ich wirklich hier raus fahren? Der Südliche Wind baut in der Hafeneinfahrt eine ziemliche Welle auf. Das sieht beeindruckend aus. Um nicht zu sagen: Beängstigend. Fürs Wattenmeer sind die Wellen wahrlich hoch. Fast schon erschreckend hoch.

Nein, ich werde nicht ablegen. Das ist mir zu riskant. Mit dieser Entscheidung kehre ich an Bord zurück, lege mich auf meine Koje und schnappe mir mein Buch. Ich versuche zu lesen, muss aber wieder an die flache Hafenausfahrt denken. Also geht es wieder raus und zu eben dieser.

Hm. Vielleicht sollte ich innerhalb des Hafens nach vorne verholen? Dann könnte ich morgen mit dem frühen Hochwasser auslaufen. Schaden kann das nicht. Genau, so mache ich es.

Wieder zurück auf meiner Koje greife ich zum Handy. Sehe mir die Zahlen an. Rein rechnerisch muss es klappen. Das für heute gemeldete Wasser ist 10 Zentimeter höher als beim Hochwasser, bei dem ich auf Neuwerk angekommen bin. Ich sollte also an der flachsten Stelle 40 Zentimeter Wasser haben. Hm. So schlimm kann es doch nicht sein. Oder? Die Zahlen sagen ganz klar, dass es klappen sollte.

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich wenn ich den Hafen verlassen will jetzt ablegen muss.

Mit mulmigem Gefühl löse ich die Leinen. Ein großer Fehler.

Noch liegt Bea Orca sicher im Hafen…

Die Schraube dreht und schiebt Bea Orca aus der Hafenausfahrt. Auf Steuerbord ist der kleine Wall unter Wasser, auf Backbord markieren einzelne Priken den Weg. Also: Fahrt voraus. Aber langsam. Mit Wind und Wellen auf die Nase geht es eher gemächlich vorwärts. Doch ist mir das recht, im Aufgewühlten Wasser die Unterwasserhindernisse auf Steuerbord zu erkennen ist nicht ganz einfach.

Wir haben es schon fast geschafft, die letzte Pricke ist schon nahe, als…

Schrrrrp….. Schrrrp….

Im Wellental setzt Bea Orca mit einem Kiel auf. Den Bruchteil einer Sekunde hängt ein Kiel im Sand, eine neu anrollende Welle schlägt gegen den Rumpf. Schneller das ich reagieren kann dreht sich Bea Orca. Eine zweite Welle schlägt kurz darauf ein. Der Bug weißt schon wieder fast auf die Hafeneinfahrt. Ich lege Ruder, nichts wie zurück in den Hafen.

Schrrrpppp….

Wir setzen erneut auf. Nur kurz, im Wellental.

Schrrrrrrrrrppp…

Dieses mal war es länger.

„Scheiße“, entfährt es mir. Die Wellen drücken uns weiter auf die Untiefe. Und aufs Land! Das ganze ist eine verdammt beschissene Legerwall-Situation! Was hat mir geritten hier heraus zu fahren? Wie konnte ich nur?

Schrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrpppppppppppppp…..

Ich trete mir selbst auf die Füße. Ich muss handeln. Wenn ich nichts mache, dann enden wir bald am Ufer. Und das könnte Bea Orca’s Ende sein. Soweit darf es einfach nicht kommen!

Beherzt greife ich zum Gashebel und lege ihn auf volle Fahr voraus. Das zusammen mit der gelegten Pinne sollte uns wieder in das winzige Fahrwasser bringe. Tatsächlich machen wir bei der nächsten Welle einen kleinen Sprung nach vorne, doch die Welle treibt uns zeitgleich weiter auf den Sand.

Noch eine Welle schiebt uns weiter vorwärts. Wir kommen dem Ufer immer näher. Es sind nur noch zwei, vielleicht drei Bootslängen!

Scheiße, scheiße, scheiße!

Vorwärts, rückwärts, nichts bringt was. Verzweifelt ziehe ich an der Pinne hin- und her. Bekomme Panik.

Bea Orca, meine Große… ich habe gerade eine richtige Beziehung zu ihr aufgebaut. So darf es einfach nicht enden! Das darf nicht sein! Nicht hier, nicht jetzt, nicht… Nein!

Ein Schrei entfährt meinen Lippen. Nein, das darf nicht sein.

Nachdenken, Sebastian. Du kannst das.

Vielleicht ins Wasser gehen? Meine Große mit der Hand zu führen könnte klappen. In der Brandung aber nicht ganz ungefährlich. Ich kenne das Ufer hier bei Niedrigwasser, sollte meine Große tatsächlich hier enden wäre ich dann schon nah genug am Ufer um an Land springen zu können. Wenn ich aber jetzt hier ins Wasser steige… nein, zu riskant.

Mein Blick wandert nach vorne. Der Anker. Ob es klappt? Schaden kann es ja eigentlich nicht.

Kurzerhand sprinte ich nach vorne, löse den Sicherungsbolzen und ziehe den Anker mit Kette hervor. Mit aller Kraft werfe ich ihn – doch weit fliegt er nicht. Trotzdem lasse ich ihn unten, sollte der halten würde er zumindest eine Strandung verhindern. Das ich dann in der Hafeneinfahrt trocken fallen würde ist in meinen Augen das geringere Übel. Das viel Geringere.

Zurück im Cockpit fällt mir auf, das die Crew des Jollenkreuzers meine Situation bemerkt hat und mir Handzeichen gibt. Etwas wird gerufen, doch in der Brandung gehen die Worte verloren.

Kurz versuche ich mich mit Handzeichen zu verständigen, doch es gelingt nicht so recht.

Die Hafenein- & Ausfahrt bei Niedrigwasser

Ich habe wichtigeres zu tun, noch ist etwas Zeit, ich muss handeln. Entschlossen packe ich die Pinne, drücke sie hin und her. Versuche so, zusammen mit der Maschine uns die letzten Meter von der Sandbank zu drücken. Ein Kiel ist die ganze Zeit frei, ich muss nur ein paar Zentimeter, vielleicht einen halben Meter weiter nach Backbord kommen. Das muss doch möglich sein!

Und tatsächlich, während wir immer weiter ans Ufer heran kommen ist erst Bea Orca’s Backbord-Reeling, dann das halbe Boot auf Höhe der Hafeneinfahrt. Doch es reicht nicht. Wir sind nur noch wenige Meter vor der Hafeneinfahrt. Ich bräuchte einen starken Zug von der anderen Seite…

Mein Blick wandert zu den Seglern an Land.

„Könnt ihr mir eine Leine zuwerfen?“, schreie ich über die Brandung hinweg. Dabei halte ich eine Leine hoch und zeige auf die Seite, von der ich eine Bräuchte.

Sie verstehen sofort. Eilig laufen sie um den kleinen Hafen. Plötzlich stehen sie auf der richtigen Seite, eine Leine in der Hand. Ich eile aufs Vorschiff, mache mich bereit die Leine entgegen zu nehmen. So wird es klappen!

Die Leine fliegt….

…und landet im Wasser.

Ein zweiter Versuch. Noch während die Leine in der Luft ist mach Bea Orca einen Sprung nach vorne. Ich habe nicht mehr über die Maschine nachgedacht, sie hat die ganze Zeit gearbeitet. Jetzt ist der Kiel freigekommen und Bea Orca schießt nach vorne. Sofort drehe ich um und renne zurück ins Cockpit. Noch bevor ich sitze nehme ich das Gas raus und passe den Kurs an.

Glück gehabt. Richtig Glück gehabt. So viel hätte schiefgehen können.

Ich mache Bea Orca fest. Längsseits am Kai. Heute, bei dem Wetter und Wellengang, wird niemand mehr den Bauernhafen anlaufen. Und morgen werde ich verschwinden. Hoffentlich. Da ist flaute gemeldet – keine Wellen die uns Querschlagen können und im Zweifelsfall kann ich auch ins Wasser gehen und Bea Orca ziehen.

Ich bedanke mich bei der Besatzung des Jollenkreuzers und verschwinde unter Deck.

Das wäre es fast gewesen. Heute hätte ich meine Große verlieren können! Und warum? Weil ich aus dem Hafen wollte weil die Hafenausfahrt flach ist. Und weil ich in einem richtigen Supermarkt Lebensmittel kaufen will.

Ich Idiot! Mein Bauch hat mir ganz klar gesagt, dass es eine Scheiß Idee ist bei dem Wellengang das raus zu fahren! Ich habe es gewusst! Wie bescheuert muss man sein, raus zu fahren, wenn einem das eigene Gefühl sagt, dass das eine Kack Idee ist?

Ich… Depp!

Ich habe Tränen in den Augen. Bin Glücklich das noch mal alles gut gegangen ist. Meine Große hat noch nicht einmal einen Kratzer abbekommen.

Und ich bin wütend. Unglaublich wütend auf mich selbst. So etwas darf nie, nie wieder passieren.

Ich habe es gewusst…

Heulend schlage ich auf die Polster meiner Koje ein.

Ich habe es gewusst!

Eine ganze Zeit lang liege ich so im Vorschiff. Schniefend streiche ich mir die Tränen aus dem Gesicht.

Knurre.

„Wenn du dieses Jahr noch einmal so eine Scheiße baust, dann gehst du erst wieder mit eigenem Kiel aufs Wasser wenn du genug Erfahrung mit erfahreneren Seglern gesammelt hast.“

Ich meine es ernst. So etwas darf nicht passieren. Jeder kann Fehler machen. Und das dies beim Segeln ins Auge gehen kann – klar. Aber: Wenn man weiß das es schiefgeht und sich nur wegen ein paar dämlichen Zahlen dazu entscheidet es doch zu versuchen. Dann ist das kein Fehler. Dann ist das einfach nur dumm. Und das darf nie, nie wieder passieren.


Kommentar von mir:

Ich bin lange mit diesem Beitrag schwanger gegangen. Die Versuchung die hier beschriebenen Ereignisse einfach unter den Tisch fallen zu lassen war groß. Was ich gemacht habe war eine riesen Dummheit. Aber: Ich habe daraus gelernt. Da ich nicht zu viel vorwegnehmen möchte nur so viel: Das Versprechen an mich selbst musste ich nicht einlösen. Und mit etwas Glück erinnert sich ja irgendwann jemand hier ran, wenn er kurz davor steht genauso bescheuert zu sein…

Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen am 22.08.2016.

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Sebastian

9 Kommentare

  1. Erfahrung ist die Summe der begangenen Fehler aus denen man lernt.
    Das hat mein Altgeselle immer gesagt.
    Manchmal muss man einfach extrem scheitern um zu kapieren was richtig ist. Ich finde es sehr gut wie offen du damit umgehst und bin froh das es gut ausgegangen ist.

    • Es gehört dazu. Aber Spaß macht es nicht.
      Ich bin natürlich extrem froh das Bea Orca und ich das ganze heil überstanden haben. Und am Ende bin ich ja auch heil wieder aus dem Hafen rausgekommen. Und: Jetzt verstehe ich, wieso in dem Törnführer empfohlen wird Häfen nur anzulaufen wenn man bei HW an der flachsten Stelle mindestens 0,5 Meter Wasser unterm Kielen bzw. den Kielen hat… Ehrlichgesagt: So eine knappe Geschichte brauche ich nicht wieder.
      Viele Grüße,
      Sebastian

  2. Freut mich wenn es dem einen oder anderen vielleicht davor bewahrt, ähnliche Dummheiten zu begehen. Das war für mich ein wichtiger Grund auch hierrüber zu berichten. Neben der Tatsache das ich der Meinung bin, das ein Blog der beschönigt wertlos ist….
    Was die Bilder betrifft… nun… ich hatte keine Anderen von diesem Zeitabschnitt die wenigstens im Ansatze zum Text gepasst hätten. Bei HW hatte ich so einwenig was anderes zutun… so irgendwie… Aber freut mich wenn sie als passendes und informativ betrachtet werden 🙂
    Viele Grüße,
    Sebastian

  3. Sehr gut, vielen Dank, gut (von der Seele) geschrieben.

    und willkommen im Watt. So lernt man hier.

  4. Hammerhart, aber offenbar ehrlich. Du ersparst Dir wenig, Kopf hoch, die Erfahrung kommt eben nur mit dem Segeln und Misserfolge sind da immer dabei. Es niemand hier auf Deinem Blog, der nicht schon solche Fehlentscheidungen getroffen hat, sei Dir sicher. Da muss ich gar nicht erst fragen 😉

  5. So gut wie jeder hat mindestens einmal so eine Erfahrung gemacht. Die meisten reden bloß nicht darüber. Ich habe von meinen Booten und meinen Dummheiten mehr gelernt als von allen Menschen und Büchern. Natürlich gehört eine ordentlicher Happen Glück manchmal dazu. Man darf nur nicht anfangen, sich darauf zu verlassen, wenn man mehrmals Glück gehabt hat.
    Schöne informative Fotos übrigens! Mit unserer Länge könnten wir da wohl nur längs festmachen. Vielleicht in der nächsten Saison.
    Viele Grüße, Frank

  6. Hey Sebastian! Sehr spannende Beschreibung, ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen. Gerade diese „Lessons Learned“ aufzuschnappen find ich ungemein wertvoll! Immer nur im Blogs vom perfekten Törn zu lesen, das ist immer so unrealistisch, ja langweilig. Vielen Dank für deinen Mut, auch deine Fehlentscheidungen mit uns zu teilen uns mitfiebern und mitlernen zu lassen 🙂

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