Und plötzlich ist alles anders: Wie ein Leben an Bord mich innerhalb von 6 Wochen verändert hat

*Verschlafen reibe ich mir den Sand aus den Augen. Stehe auf. Der erste Handgriff geht zum Feuerzeug. Spirituskocher anmachen. In meinen kleinen Wasserkessel, gerade groß genug für zwei Tassen Tee Wasser füllen und aufkochen lassen. Während das Wasser heiß wird mache ich es mir gemütlich. Ein Blick aufs Smartphone, Mails und Facebook. Vielleicht sogar auf Nachrichten antworten.

Verrückt.

Es ist nicht lange her, da bin ich morgens in meiner Wohnung aufgewacht – nicht auf dem Boot. Manches ist heute wie damals. Beispielsweise meine exzesive Nutzung des Internets – im Besonderen Facebook. Manchmal ekelt es mich selbst förmlich an. Dann schalte ich einen Gang runter. Andererseits: Ich bin ein eher schüchterner Mensch, verbringe fast meine gesamte Freizeit alleine. Da ist der Blog, Foren, Facebook – kurz, das Internet – manchmal durchaus ein angenehmer Ausgleich. Einer, der sich mit meinem Leben gut verbinden lässt.

Aber diese Ruhe. Ganz entspannt sitze ich da morgens, warte bis das Wasser kocht. Hektik? Nein danke!

Zwischendurch kommt aber doch noch Bewegung in mich. Ich schnappe mir etwas zum Anziehen aus dem Schapp im Vorschiff. Dann noch die Polster aufstellen. Zwar sind sie auch morgens nur noch leicht feucht seit ich mir einen Lattenrost gebaut habe – aber hey, es ist ein Handgriff und dafür muss ich mir keine Gedanken um Schimmel machen! Und auf Backbord müsste ich eh aufstellen – denn darunter findet sich in einem Fach die frische Unterwäsche…

Endlich kocht das Wasser und ich gieße mir einen Tee ein. Waren es an den ersten Tagen noch Tee’s voller Aromastoffe so habe ich mittlerweile mehrere Teemischungen aus natürlichen Zutaten an Bord. Die kaufe ich mir im Teeladen um die Ecke. Sowieso viel leckerer!

Statt Brot mit Wurst, Käse, Marmelade oder Schokocreme gibt es Obst zum Frühstück. Aktuell hauptsächlich Äpfel.

..am Anfang noch Orange & Teebeutel

Anfangs hatte ich Müsli an Bord. Angefangen mir Birscher Müsli, dann Haferflocken und Trockenobst. Das Problem: Ich musste zusehen die Milch zeitnah aufzubrauchen. Und hab daher Unmengen an Müsli gegessen. Ein Blick auf die Waage stoppte das Ganze. Ich habe erst letztes Jahr stark abgenommen. Von (über) 120 Kilo auf unter neunzig. Auch wenn ich mittlerweile nicht mehr bei allem was ich esse darüber nachdenke: Ich will da nicht wieder gewichtsmäßig hin. Die plötzliche gewonnene Fitness ist mir nicht nur viel wert. Sie ist für mich als Liveaboard absolut notwendig – finde ich. Und so habe ich, bekennender Vitaminmuffel (sind die nicht giftig?!) mir, zunächst vorsichtig, ein paar Orangen gekauft. Und: Wow ist das lecker! Süß, saftig, fruchtig… Hammer! Also ging es weiter mit Äpfeln. Kaum zu glauben, wie lecker die sind… Innerhalb kürzester Zeit kaufe ich mir zum Naschen nicht mehr Schokolade oder Kekse – sondern Äpfel und Orangen! Eigentlich doof, immerhin wollte ich doch meine Ernährung dahin bekommen Sachen zu essen die haltbar sind. Um auch mal zwei, drei oder mehr Wochen unabhängig von Häfen unterwegs sein zu können – ohne Möglichkeit neue Lebensmittel zu kaufen.

Überhaupt, irgendwie denke ich viel mehr über das Essen nach. Was isst du da? Wo kommt es her? Ist es gesund? Kannst du den Verzehr mit deinen Moralischen Vorstellungen vereinbaren? Was bedeutet das für die Umwelt, für die Tiere?

Zwischendurch wandern die Gedanken sogar in Richtung Vegetarisch und Vegan – nur um erschrocken zurückzuzucken. Ich, vegetarisch? Oder gar vegan? Nein, das kann nicht gut gehen. Immerhin habe ich praktisch mein ganzes Leben lang Obst und Gemüse gemieden, als würde mich bereits Hautkontakt umbringen. Entsprechend viel Erfahrung im Kochen mit Obst und Gemüse habe ich. Oder im Backen. Doch fördert dies auch die Kreativität: Wie ist das beispielsweise mit einer Art Apfelbrot? Also ein richtiges Brot – ohne Zucker – aber mit schön vielen Apfelstücken? Sollte man das nicht gut so essen können? Und natürlich das gleiche mir beispielsweise Rosinen. Und Birnen. Und… was einem sonst noch so einfällt. Das würde vielleicht auch helfen den Bäckereien zu wiederstehen. Denn die sind nach wie vor verlockend.

Gelassen grinsend sitze ich am Frückstückstisch. Mittlerweile ist der Tee gut durchgezogen und ich nippe dran. Noch heiß. Aber richtig gut. Fruchtig. Da stehe ich im Moment total drauf. Es ist kurz nach sechs in der früh. Ich bin fit. Und doch absolut entspannt. Bea Orca liegt ruhig im Hafen, bewegt sich nur ganz leicht mit mir mit. Es ist ein ganz besonderes Lebensgefühl, dieses Leben an Bord. Seit ich eingezogen bin hat sich so viel in meinem Leben geändert. Und noch viel mehr in mir selbst. Ich spüre die Natur plötzlich wieder in meinem Alltag. Sie ist ein Teil von mir, diktiert vieles. Sonne oder Regen, warm oder kalt. Plötzlich spielt es wieder eine Rolle. Obgleich Bea Orca beheizt ist, man merkt doch um ein vielfaches stärker das Wetter um einen herum. Die sterile, von der Natur abgetrennte Wohnatmosphäre einer Wohnung existiert hier nicht. Wind, Wetter, Gezeiten – diese sind real, allgegenwärtig. Und spürbar.

Ist es vielleicht diese Nähe zur Natur, die mich verändert? Extremer werden lässt?

Denn, das muss ich mir selbst eingestehen: Vieles was jetzt plötzlich ist war schon davor da. Nur eben nicht so ausgeprägt. Beispielsweise meine Abneigung gegen Plastik.

Bitte was? Ich wohne auf einem GFK-Boot. Wie kann ich da eine Abneigung gegen Plastik haben?

Nun, ganz einfach: Ich habe kein Problem mit Plastik – solange es seiner Eigenschaft als langlebiger Werkstoff entsprechend genutzt wird. Doch diese Wegwerfgegenstände stören mich zunehmend. Dies war schon in der Mietswohnung so. Richtungsweisend war da sicherlich auch der Vortrag von Emily Penn auf der Boot 2016. Und eigener „Plastikkontakt“ auf Außenelbe und Wattenmeer. Und doch: In der Wohnung habe ich eben noch mal stärker darauf geachtet Plastikmüll richtig zu entsorgen. Und mir, wenn es gleichwertige Alternativen (wie Papier- statt Plastiktüte) gab eben diese geholt. Doch seit ich an Bord lebe erwische ich mich selbst dabei, wie ich vermehrt bei Plastikverpackungen mich frage: Brauche ich den Inhalt? Brauche ich ihn wirklich?

Sicher, wenn es eine Alternative gibt, so greife ich gerne zu ihr. Auch wenn es, wie bei einem neuen Sieb, ein paar Euro mehr kostet. Aber wenn nicht bin ich vermehrt bereit, auf etwas zu verzichten. Nur um nicht für mehr Plastikmüll zu sorgen.

So enorm auch die Änderung was mein Umwelt- Gesundheits- und Essverhalten betrifft auch sein mögen: Im Vergleich zu meiner Ausgewogenheit und Zufriedenheit ist es harmlos.

Natürlich: Es gibt noch immer Sachen mit denen ich unzufrieden bin. Meine Faulheit beispielsweise: Ich schiebe seit Wochen das Verlegen von ein paar Leitungen für’s 12 Volt Netz vor mir her. Meine Schwäche bezüglich Bäckereien. Oder das ich schüchtern bin. Ich liebe mein Leben wie ich es führe, würde es so gerne mit Menschen in meiner Nähe teilen. Doch obwohl ich jetzt schon mehr Besuch auf meinem Boot hatte als davor in einem Jahr in meiner Mietswohnung: Einerseits war dieser Besuch größtenteils nicht in meinem Alter. Was, obwohl es großartige Menschen sind die da waren, eben irgendwo doch manchmal eine Rolle spielt. Und vor allem: Ich kenne den Grund warum es (gerade bei gleichaltrigen) mangelt: Ich bin einfach, obwohl echt stolz auf das was ich geschafft habe, glücklich mit mir, damit wo ich jetzt bin, was ich mache, noch immer schüchtern. Schöne Scheiße.

Trotz all dieser Sachen die durch meinen Geist wandern bin ich unglaublich glücklich und ausgeglichen. Ich wache gut gelaunt und entspannt auf. Mit einem Lächeln auf den Lippen. Und genauso schlafe ich am Abend wieder ein. Auch mein Schlaf ist ruhiger geworden. Selbst wenn ich tatsächlich mal mitten in der Nacht aufstehen muss: Kaum liege ich wieder in meiner Koje, da schlafe ich tief und fest. Wobei: So ein bisschen bleibt der Bootsschlaf eben doch ein Bootsschlaf. Einerseits tief und fest, andererseits immer mit einem offenen Ohr. Und wehe, da ist ein ungutes Geräusch – man ist sofort wach um es zu finden, zu beheben und anschließend sogar wieder tief und fest einzuschlafen.

Alles in allem kann ich nach fast sechs Wochen* Leben an Bord in Cuxhaven sagen: Ich bin ein glücklicherer, zufriedener und ausgeglichenerer Mensch als ich es noch vor meinem Umzug war. Ich habe wieder eine deutlich engere Beziehung zur Natur aber auch zu mir selbst.

Wie es weiter geht? Wer weiß. Vielleicht mutiere ich zum Vollblut-Öko-Vegetarier-Veganer und Umweltschützer. Vielleicht ist das im Moment nur eine Phase und in einem Monat stapeln sich Plastiktüten voll Haribo & Co. an Bord. Vielleicht werde ich griesgrämiger, unruhiger, verspannt. Oder aber nochmal glücklicher & entspannter – obwohl ich mir das selbst gar nicht vorstellen kann. Wie soll das noch möglich sein?! Vielleicht bleibt es auch so wie es jetzt ist, pendelt sich auf diesem Niveau ein.

Ich weiß es nicht, will es auch gar nicht wissen.

Was ich weiß: Ich freue mich riesig darauf, mein Abenteuer „Leben an Bord“ fortzusetzen. Den hier, auf meinem Boot auf See, das Gefühl der Freiheit jeden Tag genießend, bin ich frei.

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*Dieser Beitrag entstand nach nicht ganz sechs Wochen an Bord. Natürlich ist mein Leben und damit meine Entwicklung weiter fortgeschritten. Aber das ist etwas für ein anderes Mal.

Sebastian

10 Kommentare

  1. Hallo Sebastian,
    hast Du Dein Gewicht nur durch eine Ernährungsumstellung so drastisch reduziert? Und darf man nach ein paar Details fragen? (was genau isst Du nicht mehr? Oder nur noch in kleinen Mengen?
    Ich habe auch das Problem, das ich 2-3 Kisten Wasser mit mir rumschleppe und dringend abnehmen müsste. Finde aber irgendwie bisher keinen Weg.

    • Ich bin ans Meer gezogen – und war genervt nach nem kleinen Strandspaziergang außer Puste zu sein. Also jeden Tag Radfahren (5-7 mal pro Woche). Mittlerweile ist sogar das Auto verkauft – hier in Cux mache ich alles zu Fuß oder mit dem Rad. Dann Ernährung: Am Anfang habe ich wirklich nichts mehr süßes gegessen. Dann immer mal wieder rückfälle, die halt gebremst haben, dann wieder aufgepasst.
      Ist am Anfang eine unglaubliche Willenssache, man isst halt plöttzlich (deutlich) weniger. Dauert aber nur paar Tage. 🙂
      Alternativ einfach mal komplett auf Tierprodukte verzichten. Unterwegs was naschen wird fast unmöglich, viele Fettige Produkte fallen weg. Und die Portionen enthalten gewöhnlich bei gleicher Menge weniger Kalorien 😀
      Hat auch den netten Nebeneffekt das es allgemein gesünder ist, besser für die Umwelt – und natürlich für die Tiere 😛
      Letztlich bin ich aber natürlich kein Ernährungsexperte und hab nur für mich festgestellt was bei mir passiert. Am Ende gibt es immer eine einfache Formel:
      Weniger Essen als man verbraucht.
      Viel Erfolg!
      Viele Grüße,
      Sebastian

  2. Dann würde ich mir wenigstens eine isolierbox gönnen. Das puffert die Temperaturschwankungen.
    Aber im Sommer ist die kleinste Waeco nicht zu verachten, da sie kaum Strom braucht aber Du die Butter dann nicht mit der Schöpfkelle aufs Brot giessen musst 😉

    • Nö. Sehe da wirklich bei meiner Ernährung nicht die Notwendigkeit. 🙂 Butter streich ich mir eh schon länger nicht mehr aufs Brot. Marmelade, Erdnussmus, Schoko-Kokoscreme… Geht alles auch so gut. 🙂
      Trotzdem danke für den Tipp mit der Waeco. Sollte sich meine Meinung ändern sehe ich sie mir mal an. 🙂

  3. …zum „Milchproblem“:
    ich helfe mir an Bord immer mit Trockenmilch. Ist für Müsli, Porridge und co. vollkommen okay.

    alles Gute Dir weiterhin 🙂

  4. Moin Sebastian,
    Du musstest „die Milch zeitnah aufbrauchen“ – dieser Satz hat mich wieder an eine Überlegung gebracht, die ich bei Deinen Erzählungen schon öfter hatte…
    Hast Du eigentlich keinen Kühlschrank (Kühlbox) an Bord?
    Für Milch wäre das ganz angenehm (für ein kühles Bier auch 😉 Auch Wurst, Käse, Butter, Joghurt würden für mich auf Dauer unverzichtbar sein – meinst Du, Du kannst dauerhaft (auch im Sommer, da kann es unter Deck ganz schön warm werden…) darauf verzichten, ein Kühlgerät zu haben?
    Viele Grüße
    Reinhard

    • Jup, hoffe ich. Bin da mittlerweile sogar recht optimistisch… 🙂 eine Kühlbox ist und soll nicht an Bord.
      Viele Grüße,
      Sebastian

  5. Nach solch einem „drastischen“ Schritt muss sich auch das Leben erst neu einpendeln.
    Ernährung gehört dazu. Man denkt um kauft gesunde Sachen und isst weniger und gesünder.
    Ab und an überrennt dich bestimmt ein Anflug von Junkhunger und Du haust Dir ne Pizza rein die Du am nächsten Tag bereust. Aber das gehört dazu. Nur in Askese leben macht griesgrämig.
    Du wirst das rechte Maß schon finden und statt Weissmehlbötchen beim Bäcker zu kaufen vielleicht Vollkornbrote schätzen lernen usw….
    Gönne Dir ab und an Eine Tafel Schokolade und einen Schluck Wein. Solange Du es eben nur ab und an machst, und es was besonderes ist macht es Dich glücklich….
    Du wirst Deine Balance schon finden. Hör auf Deinen Bauch und den Verstand und alles wird gut….
    Sich dogmatischen Grundsätzen zu unterwerfen macht einen schnell recht unlocker und das merken dann auch Deine Mitmenschen.
    Also lass es Dir gut gehen!
    beste Grüße
    Sönke

    • Der Beitrag war schon nicht mehr aktuell, als ich ihn veröffentlicht habe. Daher auch der Hinweis am Ende. Ich habe für mich einen sehr guten Weg gefunden. Und bin aktuell dabei mit gutem Gewissen zu genießen 🙂 Aber ja, sich alles gute vorzuenthalten ist auch kein Weg. War es für mich aber auch nie. 😉
      Aktuell bin ich ganz glücklich wie es ist – auch was die Ernährung betrifft. Hab gerade erst mein Bulgur mit Tomate, Möhre und Pilzen genossen. Jamjamjam. Und jetzt noch ein großes Glas Apfelmark zum Nachtisch. Dann ist das Bäuchlein wohl wieder überfüllt und ich kugle mich – glücklich und zufrieden – in meine Koje. 🙂
      Viele Grüße,
      Sebastian

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