Der Ruf des Meeres

Es ist nicht mehr weit bis zum Van Harinxmakanal ich müsste lügen wenn ich sagen würde, ich würde mich auf dieses Stück des Weges freuen. Es ist die einzige Strecke aus dem letzten Jahr, die mir nicht so richtig gefallen wollte. Ja, es gab schöne ecken, war okay. Aber gerade das erste Stück – letztes Jahr bin ich von Harlingen nach Leuwaarden auf dem Kanal gesegelt und gepaddelt – ist umsäumt von Industrie. Und das ist nun wirklich nichts worauf ich mich freue. Aber immerhin bin ich auf dem Wasser. Und: Noch weis ich nicht, das es auch eine positive Überraschung unterwegs geben wird.

Auf dem Weg zum Harnixmakanal sehe ich zum wiederholten mal am Rand des Kanals ein Segelboot – mit gestelltem Mast. Warum mich das verwirrt? Weil vor mir eine feste Brücke ist, oder der das Boot mit gestelltem Mast nicht durchgepasst hat. Und hinter mir ebenfalls. Das es hier her ins Winterlager gebracht wurde – okay, macht sinn. Aber warum zum Teufel stellt man dann den Mast?!

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Dann bin ich auf dem Van Harnixmakanal. Der Wind nimmt deutlich zu, selbst auf dem Kanal zeichnet sich ein deutlicher Seegang ab. Ich hatte gehofft – wirklich gehofft – dieses Stück segeln zu können. Okay, in Franeker gibt es eine Brücke – aber eine Brücke… außerdem kann man da gut anlegen zum legen und stellen des Mastes. Aber nöh – Wind zu stark, da ist nix mit segeln. Nur paddeln. Paddeln. Paddeln. Immer nur paddeln. Scheiß paddeln. Es kotzt mich an. Ich bin auf einem Segeltörn! Es ist…. scheiße. Alles doof. Der Himmel ist bewölkt, immer weniger Sonne. Der Wind zu stark zum segeln. Kacke. Ich will segeln! Wütend sehe ich zum Himmel. Wer auch immer sich hier seine Wettersuppe kocht versaut mir gehörig die Stimmung. Soll nur froh sein, das ich nicht in seiner (oder ihrer?) nähe bin. Das gäbe was. Muss das sein? Wind eine Stufe runter und ich könnte segeln. Na ja, zwei Stufen. Aber trotzdem – warum? Zu sagen ich bin frustriert wäre eine gehörige Untertreibung. Alles ist…. einfach scheiße. Es ist der aller erste Tag des Törns – an dem ich unterwegs bin – an dem ich gar nicht segel. Nicht einen Meter. Und das kotzt mich an. Aber so richtig.

Zu allem übel ist es genau so wie ich es in Erinnerung hatte. Industrie links, Industrie rechts. Und ein langer, gerader Kanal. Umsäumt nicht etwa vom Schilf oder Wiese – sondern großen Betonbauten. Hässlich.

Da war mir doch glatt der Gülle-Geruch des letzten Kanals lieber. Da konnte man sich dran gewöhnen. Aber an dieses Bild…?

Dann macht der Kanal eine Biegung und es geht wieder bergauf. Ja, noch immer ist am Ufer viel Industrie – aber im Wasser sind unzählige Boote vertaut. Segelboote. Traditionssegler. Riesiger Plattbodenschiffe und einige gigantische Rahsegler. Ein Traum. Während ich langsam übers Wasser gleite sehe ich den Mannschaften zu, wie sie ihre Schätze für die Saison fertig machen. Überall wird der Pinsel geschwungen, geschliffen, poliert. Nicht wenige sehen auf und heben die Hand zum Gruß. Rufen mir zu. Lächeln. Auch wenn noch immer die Sonne nur kurz zwischen den Wolken durchschimmert ist es, als wäre sie wieder aufgegangen. Die Herzlichkeit mit der ich hier gegrüßt werde, von diesen Seemännern und ihren wahrhaft beeindruckenden Schiffen… da wird mir richtig warm ums Herz. Ich habe richtig das Gefühl als wäre ich wie sie – ein echter Seemann. Scheiße, fühlt sich das geil an.

Eine Weitere Biegung des Kanals später finde ich mich mitten in Franeker wieder. Langsam schiebt sich BEA auf die Brücke zu. Stirnrunzelnd sehe ich zur Brücke, es sind noch etwa 500 Meter. Das sieht verdammt knapp aus. Nicht nur Mastlege-Knapp. Nein, so richtig knapp. So knapp, das ich mich frage ob ich da durchpasse. Das Wasser steht fast bis zur Brücke. Ich schiebe den Gedanken zur Seite. Nachdenklich greife ich zur Karte und sehe nach. Das sollte – mit gelegtem Mast – locker passen. Wenn die Karte recht hat, müsste ich sogar fast aufrecht sitzend durchpassen. Höchstens Kopf einziehen. Und wenn, dann müsste das Wasser doch zu niedrig sein – so von wegen Winterwasserstand – nicht zu hoch. Nah, wird schon passen.

Mit gemütlichen Ruderschlägen – für mehr fehlt mir gerade die Lust – nähern wir uns der Brücke. Anders als gehofft wird das doofe Gefühl im Bauch beim näher kommen immer schlimmer. Das IST verdammt knapp. Selbst mit komplett gelegtem Mast passe ich nicht durch. Der oberste Seesack stößt an die Brücke und hält uns fest. Also verhole ich BEA zum Rand des Kanals. Löse die Leine mit der die Seesäcke ans Boot gebunden sind um im Fall einer Kenterung gesichert zu sein und nehme den oberen Sack nach hinten. Mich lege ich gleich daneben ab. Jetzt sollte es aber passen.

Sollte – tut es aber nicht. Ob es an dem ganzen Vla liegt, dem Kaba oder am Wasserstand – man darf es sich aussuchen (ich wähle den Wasserstand). Jetzt blockiere ICH die weiterfahrt. Mit meiner Rettungsweste an bleibe ich an der Brücke hängen – obwohl ich mich schon am Boden meiner kleinen zusammen gekrümelt habe. Um die Brücke auf dem Wasserwege passieren zu können bleibt mir nichts anderes übrig als die Weste auszuziehen.

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Nun gelingt es uns – gerade so – unter der Brücke durchzutreiben. Doch selbst so spüre ich, das meine Nackenhaare immer wieder ans kalte Stahl stoßen. Verdammt eng. Das Wasser ist eindeutig deutlich höher als normal. Warum nur? Hängt das etwa am Wind? Der pustet die Wassermassen im Kanal seit zwei Tagen nach westen – also Richtung Franeker/Harlingen. Aber ob es nur daran liegt…? Ich weis es nicht und beschließe, das es eigentlich gar nicht so wichtig ist. Also weiter paddeln.

Nach wenigen Schlägen stecke ich das Paddel weg. Dank des Windes treibt BEA trotzdem weiter in die richtige Richtung. Ich beschäftige mich währenddessen mit etwas anderem, wirklich wichtigem: Essen. Ich schnappe mir den aller letzten Rest Brot und nasche etwas Schokocreme. Der Kanal frustriert mich – schon wieder. Die Boote haben mich aufgemuntert, doch nun, da ich nicht mehr zwischen ihnen Segel mag meine schlechte Laune wieder aufkommen. Es nervt mich. Immer schlechteres Wetter, mehr Wind (die meisten Segler würden sich wohl freuen… oder den Motor anwerfen), eine bestenfalls unterdurchschnittliche Umgebung. Ich mag nicht. Mag schon da sein. Oder noch weiter weg. Nur eben nicht hier. Näh. Ich bin kaputt, körperlich und geistig. Richtig mürbe. Am liebsten würde ich anlegen, Zelt aufbauen und schlafen. Das ständige Paddeln hinterlässt seine Spuren, ich bin einfach nicht trainiert. Und einen faulen Sack wie mich zu nehmen und auf so eine Tour zu schicken.. und dann auch noch selbst der Idiot sein der sich das ausgedacht hat… na ja, wenigstens bin ich selbst schuld.

Tatsächlich gibt es sogar ganz in der Nähe einen Platz, an dem ich zelten könnte. Marrekrite. Aber sein. Ich will heute an mein Ziel. Nein – ich MUSS. Obwohl ich gefrustet bin, da ich die Strecke wirklich hätte segeln wollen – bis zum Ziel kann ich zumindest mit gerefftem Segel unter jeder Brücke durch! – wie eine magische Kraft zieht mich der Ruf des Meeres an, lockt. Ich muss einfach wieder ans Meer. Diesen Geruch einatmen, eine Mischung als Salz und… was auch immer. Auf diese weite fläche braun-grau-blau blicken, träumen…

Etwa auf halbem Wege zwischen Franeker und Harlingen passiert mich ein Schiff. Es ist eindeutig Berufsschiffahrt. Also jemand, der es für gewöhnlich ehr eilig hat. Umso mehr freut es mich, das der Kapitän abbremst und nur ganz langsam an mir vorbei fährt, so das ich kaum mit Sog und Wellenschlag zutun habe. Dabei lächelt er mich freundlich an und hebt die Hand zum Gruß. Da ist es wieder – dieses Gefühl. Auch wenn ich nicht Segeln kann, es ist gut unterwegs zu sein. Das ist eben Segeln. Das ist eben Leben. Nicht einfach, nicht geradeaus. Aber wenn man weiter geht, merkt man wie sehr es sich doch gelohnt hat. Und wie gut es war, gegangen zu sein.

Manchmal glaube ich, das irgendwo ein Wettergott hockt und mich beobachtet. Denn – kaum hatte ich meinen Frieden mit dem Wetter gemacht kommt die Sonne hinter den Wolken hervor. Laut lachend sitze ich auf BEA und freue mich meines Lebens.

Ich danke den Seeleuten auf den Traditionsseglern und dem Kapitän des Frachtschiffes. Ihr lächeln, ihre Grüße haben geholfen nicht endgültig in Selbstmitleid zu versinken. Ich danke der Sonne – die sich doch schließlich erbarmt hat und ihren Arsch bewegt und doch wieder geschienen hat. Und ich danke dem Ruf des Meeres. Wäre es nicht schon so nah und würde locken – ich hätte es nicht geschafft weiter zu fahren, so fertig war ich mit den Nerven.

 

Randbemerkung: Fragt mich nicht was da mit mir war. In Erinnerung und auf den Notizen sieht es so aus, als wäre der Himmel schwarz gewesen. Auf den Bildern… naja, paar Schäfchenwolken. Schon faszinierend wie die Laune sich auswirkt. 😉

 

Die Ereignisse in diesem Teil geschahen am 13.03.2015

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Sebastian