Von Restaurant aus mache ich mich auf, endlich auch die West- und Nordwestseite der Insel zu erkunden, war ich hier doch noch gar nicht. Gemütlich laufe ich den Deich entlang. Hier, im Westen gibt es eine weitere Anlegemöglichkeit. Eigentlich sogar zwei. Doch an der einen legt die Fähre an – sich hier als Sportboot hin zu legen wäre wohl keine so gute Entscheidung. Überhaupt, dem Vernehmen nach kein sonderlich guter Liegeplatz. Nach Westen hin schützt nur ein kleiner Wall vor Wellen. Und der Steg ist kein Schwimmsteg. Im Bauernhafen ist dies nicht sonderlich schlimm, die Boote stehen sowieso die meiste Zeit. Aber hier? Boote bis 1,5 Meter, teilweise sogar bis 2 Meter können wohl hier her kommen. Bei so einer Wasserstandsänderung an einem alten Steg liegen?
Noch bin ich mir nicht sicher. Doch trotz aller Nachteile kann ich mir vorstellen, in Zukunft hier her zu gehen. Zumindest bei einem Wochenendtörn. Die Zufahrt zum Bauernhafen ist für mich doch etwas sehr flach, immer wieder mache ich mir darüber Gedanken. Einzig das Wissen, das Mitte der kommenden Woche Springtide ist und der gemeldete Wind den Wasserstand zusätzlich erhöhen sollte lässt mich ruhig bleiben.
Während ich weiter gen Norden schlendere komme ich an einem Wohnhaus vorbei. Mit Schweinen! Putzige Tierchen. Was es hier auf dieser doch kleinen Insel alles gibt…
Am späten Nachmittag komme ich zurück an Bord, räume ein wenig auf und bereite mir ein Abendessen zu. Doch dann geht es wieder los.

Der Friedhof der Namenlosen
Ich möchte zum Friedhof der Namenlosen. Ein, wie ich finde gleichermaßen schöner wie auch trauriger Ort. Nur unweit des Bauernhafens, ein kleines Stück den Deich entlang nach Süden liegt er. Fast schon unauffällig, ein kleiner Pfad führt auf ihn. Hier wurden in früheren Zeiten die angespühlten Leichen auf See verunglückter beerdigt. Namenlos waren sie fast alle, konnte man ihre Leichen doch nicht identifizieren. Und viele waren es, die Elbmündung und das Schärhörnriff wussten dafür zu sorgen. Einzig das Kreuz eines damals 18 Jährigem Bremers trägt eine Innschrift. 1928 kenterte seine Yacht, er ertrank. Seine zwei Kameraden wurden nie gefunden.

Pfad zum Friedhof. Es ist leicht ihn zu übersehen…
Nachdenklich blicke ich über diesen Ort. Traurig, all die hölzernen, unbeschrifteten Holzkreuze. Und doch: Irgendwie auch schön. So einfach wäre es gewesen, die Toten einfach zurück ins Meer zu werfen. Die Fluten hätten sich ihrer gewiss angenommen. Wofür auch den Aufwand einer Beerdigung? Und dann auch noch auf einer solch kleinen Insel, wo Platz sicherlich schon immer wertvoll war?
Und doch wurde dieser Friedhof als einer der Ersten seiner Art angelegt. Kaum zu glauben, doch bereits 1319 wurde dieser Friedhof eingeweiht. Über 600 Jahre wurden Seeleichen hier beerdigt.

Holzkreuze – bis auf eines sind alle unbeschriftet.
Ein trauriger Ort. Schön, aber traurig.
In der Mitte des Friedhofs stets ein Denkmal mit einer Inschrift. Immer wieder lese ich sie. Sie berührt mich. Warum? Ich kann es selbst nicht so genau sagen. Doch irgendwo in mir schlägt sie eine Saite an, lässt sie vibrieren und nicht so schnell wieder verstummen.
„Heimatlos! Wie weh das klingt.
Namenlos ins Grab gesenkt.
Das kein Mutterarm umschlingt.
Dem kein Bruder Blumen schenkt.
Ach im Wind, der diesen Stein,
Diesen Hügelsand umweht,
wird manch Banges klagen sein,
das euch weinend suchen geht.
Aber reiht sich, himmlisch schön,
Nächtens oben Licht an Licht,
tauts wie Frost aus jenen Höhn:
Heimatlose seid ihr nicht.“
Über eine Stunde verbringe ich auf dem Friedhof. Dann reiße ich mich los. Eigentlich wollte ich mir nur kurz die Gedenkstätte ansehen und dann zurück an Bord. Aus dem kurz wurde eine Stunde. Und zurück an Bord? Jetzt? Nein.
Ich spüre das ich mich bewegen muss. Und so setze ich meinen Weg vor, entlang der Südseite der Insel. Es geht vorbei an der Rampe, über die die Wattwanderer die Insel betreten in Richtung Ostvorland. Ich bin alleine, weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. Perfekt zum Nachdenken. Der Abend senkt sich über die Insel, nicht mehr lange bis Sonnenuntergang. Ich bleibe stehen. Verharre. Diese Ruhe. Ich atme tief durch. Das habe ich jetzt gebraucht.
Erst an der Westseite der Insel treffe ich auf einige, wenige Menschen. Ein paar Schüler vom Schullandheim laufen lachend an mir vorbei. Dann bin wieder alleine. Fast. Denn neben dem Behördensteiger ist ein Boot vor Anker trocken gefallen. Ich mache mich auf den Weg, spreche die Besatzung an. Sie haben nicht viel Tiefgang – weniger als Bea Orca! Warum sie nicht in den Bauernhafen gefahren sind? Sie wussten nicht, das man das darf. Nicht weiter dramatisch. Sie wollen morgen weiter, das ist der Westanleger vermutlich tatsächlich die bessere Wahl. Wir unterhalten uns und sie geben mir Tipps bezüglich des Westanlegers. Man hat hier die Wahl: Entweder man macht mit langen Leinen am Steg fest, so dass das Boot problemlos aufschwimmen und trockenfallen kann. Oder aber man wirft den Anker und wartet mit dem Landgang, bis das Boot trockengefallen ist.

Trockengefallen neben Neuwerker Westanleger
Der Platz wäre zwar nicht übermäßig ruhig, bei starkem Wind definitiv kein angenehmer Liegeplatz. Doch bei wenig und mittleren Winden könne man auch hier gut liegen.
Und, so denke ich mir, kommt auch bei niedrigerem Wasser wieder weg…
Schließlich mache ich mich auf den Weg, die wenigen Meter bis zum Bauernhafen hinter mich zu bringen. Nicht weit – doch schaffe ich nicht den Weg am Stück. Ich habe gerade die Südseite der Insel erreicht, als die Sonne untergeht. Was für ein Sonnenuntergang. Der Horizont erscheint in strahlendem Rot während die Sonne sich langsam verabschiedet. Lange noch glüht der Himmel nach, bevor allmählich die Nacht die Herrschafft übernimmt.

Der Mond – groß und orange-rot. Leider reicht dafür meine Fotoausrüstung bei weitem nicht…
Doch wirklich dunkel wird es auch jetzt nicht. Unzählige Sterne erleuchten den Himmel. Die Wahre Lichtquelle ist aber eine andere: Der Mond. Riesig erscheint er, gewissermaßen ein Supermond. Und statt weiß ist er – gelb-rot! Ein unglaublicher Anblick. Ich bin mir nicht sicher, ob ich so etwas jemals erlebt habe. Und so dauert es lange bis ich es schaffe mich in die Koje zu verholen.
[jetpack_subscription_form]
Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen am 19.08.2016.
Hat’s euch gefallen? Dann abonniert meinen Blog via mail, folgt mir auf Facebook und lasst einen Kommentar da. 🙂
Hallo Sebastian, ganz toller Bericht. Ich war vor Jahren mal auf Neuwerk und die Insel ist so schön ruhig. Den Friedhof habe ich aber leider nicht gesehen. Vielleicht ja beim nächsten mal. Danke für Deine Eindrücke.
Micha
Danke 🙂 Ja, Neuwerk ist ein Traum. Das du den Friedhof übersehen hast – damit bist du sicherlich nicht alleine. Hätte ich nicht gewusst das es ihn gibt und aktiv danach ausschau gehalten, ich wäre wohl auch dran vorbei gelaufen. Was schade gewesen wäre – es ist eben doch ein besonderer Ort.
Viele Grüße,
Sebastian