Leise summend sitze ich im Cockpit. Vom blauen Himmel lacht die Sonne auf mich hinab, erwärmt Haut und Herz gleichermaßen. Das Wattenmeer ist platt, kaum eine Welle kräuselt sich auf dem Wasser. Brummend schiebt der Dieselmotor Bea Orca durchs Wasser.

Boot Querab. Bei Flaute motort jeder…
Nachdenklich wandert mein Blick das Boot entlang nach vorne. Die Fender hängen noch immer draußen. Hm.
Schulterzuckend nehme ich die Fahrt aus dem Boot, pike mich in die Sicherungsleine ein und klettere aufs Vorschiff. Schnell hole ich die Fender auf die andere Seite der Reling, dann mache ich es mir wieder im Cockpit bequem. Der Gashebel wird ein Stück nach vorne gedrückt, weiter geht’s.
Eigentlich bin ich mit den Fendern nicht ganz zufrieden. Jedes Mal abbauen und in einer Backskiste verstauen? Noch ginge dies. Aber was wenn irgendwann Dieselkanister, eine zweite Batterie, ein Beiboot oder ähnliches darin verstaut wird? Prinzipiell finde ich es ja schick meine Fender an der Reling zu fahren. Aber irgendwie muss es doch möglich sein das sie, holt man sie rein, nicht den schmalen Weg nach vorne zum Bug behindern…

Blau
Mit 4 Knoten über Grund schiebt sich Bea Orca aus dem Neuwerk-Wattfahrwasser hinaus. Das wars erst einmal mit den Pricken – die nächsten Meilen heißt es wieder mit dem Fernglas Bojen suchen. Hier im Watt liegen die nicht unbedingt dort wo sie in meiner Navigationsapp eingezeichnet sind. Mit dem Glas vor Augen suche ich immer und immer wieder das weite Wattenmeer ab, mich freuend kaum habe ich die nächste Tonne erblickt. Es ist nahe Hochwasser, mich umgibt eine einzige, geschlossene Wasserfläche.
Entlang des Weser-Elbe-Wattfahrwassers geht es weiter. Statt zurück zur Elbe in Richtung Cuxhaven folge ich dem Fahrwasser in Richtung Weser. Mein Ziel ist Dorum. Der Grund? Laut Internet soll es dort einen Supermarkt geben. Und ich muss unbedingt bald einkaufen.

Sonnenuntergang…
Plötzlich höre ich hinter mir ein Platschen. Ruckartig blicke ich zurück – und in das unglaublich putzige Gesicht eines Seehundes. Verschlafen beobachtet er uns, wie sich Bea Orca langsam nach Süden schiebt. Lange beobachte ich ihn, zunächst einfach mit den Augen, dann mit dem Fernglas. Ich liebe diese Gesellen. Hier im Wattenmeer scheinen sie regelmäßige Begleiter zu sein. Und was für welche. Einfach nur süß.
Bald müssen wir einen kleinen Bogen schlagen. Das Wattfahrwasser führt hier um eine Sandbank. Aber ist dies für mich wirklich nötig?
Nachdenklich betrachte ich die Karte. Sonderlich weit ist der Weg über die Sandbank nicht. Grob geschätzt vielleicht 500 Meter. Und: Die Sandbank fällt gar nicht mal so hoch trocken. 1,5 Meter Sand schauen hier bei Niedrigwasser empor. Nach der Zwölftelregel sollte jetzt, grob eineinhalb Stunden nach Hochwasser noch mehr als genug Wasser stehen. Also rüber. Aber mit einem Auge auf dem Echolot. In dem Moment in dem es auf einen halben Meter fällt, so nehme ich mir vor, haue ich den Rückwärtsgang rein und fahre eben doch außen rum.
Warum ich das überhaupt mache? Ich möchte ein wenig schnippeln im Wattenmeer lernen. Und welch besseres Wetter dafür denn Flaute? Bei Flaute kann ich im Zweifelsfall einfach aussteigen und meine Große per Hand von einer Untiefe schieben.
Das eigentliche Schnippeln ist so schnell vorbei, ich hätte es kaum mitbekommmen. Absolut entspannt, wir nähern uns den 0,5 Metern unterm Kiel noch nicht einmal.

…im Wattenmeer…
Zwischen den Pricken durch, dann geht es nach Westen weiter entlang des Wattfahrwassers.
Nachdenklich vergleiche ich Navionics und meine BSH-Seekarte. In Navionics ist ein Fahrwasser eingezeichnet, das ich bei der BSH-Karte nicht entdecken kann. Dieses würde mir einen ordentlichen Schlag in Richtung Spieka-Neufeld ersparen. Hier traue ich der BSH-Karte deutlich mehr. Weniger wegen der Karte selbst denn viel mehr: Ich bin vor Ort und kann keinerlei Fahrwassermarkierungen ausmachen. Trotzdem entscheide ich mich für die Strecke quer rüber. Erneut habe ich gerechnet. Es ist etwas enger, ich schätze tatsächlich kurz vor dem Fahrwasser nur noch einen halben Meter Wasser zu haben. Aber: Ich bin fest davon überzeugt, das mir solcherlei hilft besser im Wattenmeer zu werden.
Trotzdem werfe ich noch einmal einen Blick auf die Uhr und gehe alles im Kopf durch. Ich Schnippel durch Zone 1. Dank 3 Stunden Regellung erlaubt. Ich mag mir aber sicher sein dort nicht zu spät unterwegs zu sein. Doch alles passt und ich verlasse bei Tonne WE12a den Prickenweg.
Während ich mich außerhalb des Fahrwassers durchs Wattenmeer bewege wird mir klar, das es neben dem Lerneffekt noch einen zweiten Grund für mich gibt: Spaß. Sich seinen eigenen Weg durch dieses vielseitige und nicht ganz einfache Revier zu suchen macht riesig Spaß. Mein Ziel, Dorum, erreiche ich heute sowieso nicht mehr. Bis ich dort bin, wird im Hafenpriel nicht mehr genug Wasser stehen. Aber was soll’s, ich freue mich auf eine Nacht vor Anker.
Bald schon erkenne ich die Pricken des Wattfahrwassers erneut voraus. Und tatsächlich bestätigt sich meine Rechnung: Kurz vor den Pricken habe ich nur noch einen halben Meter Wasser unter den Kielen. Den größten Teil der Fahr nehme ich raus, taste mich vorsichtig über die Sandbank. Nötig gewesen wäre es nicht, nach zehn, vielleicht zwanzig Metern fällt das Wasser wieder ab. Ich hab es geschafft, bin wieder im Wattfahrwasser und damit deutlich tieferem Wasser.

…nahe Dorum.
Zurück im Wattfahrwasser begleitet mich ein fettes Grinsen im Gesicht. Ich hab es geschafft, habe richtig gerechnet und mir so einen weiten Bogen unter Motor erspart. Hätten wir Wind, ich würde dies hier sicherlich voll ausnutzen. Wofür abkürzen wenn man segeln kann? Aber da ich eh dank Flaute dieseln muss…
Schließlich bin ich vor Dorumersiel. Hier muss ich irgendwo ankern. Nur wo? Nach einigem hin- und her entscheide ich mich für eine etwas tiefere Stelle deutlich abseits des Fahrwassers. Auf 2,5 Metern Wassertiefe fällt der Anker und hält sofort. Sicherheitshalber gebe ich, wie immer, neben dem Kettenvorlauf auch die gesamte Leine hinaus.
Zum Abendessen gibt es ein einfaches Dosengericht, meine blecherne Reserve. Nachdenklich blicke ich aufs Meer hinaus. Ich wollte ursprünglich morgen früh um etwa 6 Uhr in den Hafen fahren. Und dann morgen Nachmittag wieder raus. Möglich? Klar. Aber… will ich mir wirklich einen Wecker stellen?
Und, wichtiger noch: Morgen ist tatsächlich mal ein schöner Segelwind gemeldet. Soll ich dies etwa ungenutzt verstreichen lassen?
Doch wenn segeln, wohin?
Schließlich wandert mein Blick auf die Seekarte. Ja, das könnte etwas sein… ich grinse. Mein Plan steht. Schnell wird der Wecker deaktiviert, dann entspanne ich mich im Cockpit.

Ein Moment zum Teilen.
Der Abend ist ein Traum. Das Meer, spiegelglatt. Mehr und mehr tauchen die Sandbänke zum Land hin aus den Fluten auf. Und auf der anderen Seite: Ein Sonnenuntergang. Der Himmel, saftig rot. Gemächlich, so scheint es, versinkt die Sonne mehr und mehr im absolut unbewegtem Meer. Eine geradezu mystische Stimmung. Mehrfach versuche ich, die Magie des Augenblicks mit Kamera, Actioncam und Smartphone einzufangen. Unmöglich. Sicherlich, die Hardware ist ungenügend. Doch ist da noch mehr. Die Magie dieses Augenblicks liegt nicht nur in dem was man sieht. Was man hört, das leise Plätschern des ablaufenden Wassers am Rumpf, der gelegentliche Schrei eines Vogels sowie der salzige Geruch des Wattenmeers sind mindestens ebenso wichtig. Doch selbst wenn man all dies einfangen könnte, es wäre doch bestenfalls ein billiger Abklatsch dieses Momentes. Eine schlechte Kopie. Nein, um es wahrlich als das zu erkennen was es ist, man muss es erleben. Da sein. Dies ist Magie.

Sterne. Schwer zu fotografieren und doch einfach toll anzusehen
Längst ist die Abenddämmerung der Nacht gewichen, unzählige Sterne funkeln im klaren, schwarzen Himmel.
Ich bin verliebt. Verliebt ins Meer. Ich bin ihr verfallen. Und doch: Dies ist das erste Mal auf all meinen Törns, das ich mir von ganzem Herzen wünschte, jemanden bei mir zu haben mit dem ich dieses Wunder unserer Erde teilen könnte.
Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen am 23.08.2016.
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