Schockmoment vor Anker

Ich schrecke aus dem Schlaf empor. Es ist gerade mal 02.00 Uhr Nachts. Geweckt hat mich ein Ruck im Boot, den ich mit jeder Faser meines Seins gespürt habe. Erschrocken greife ich zum Tablet und sehe mir meine Position auf der Anker-App an. Alles scheint gut, wir sind noch immer im Schwoje-Kreis.

Trotzdem, irgend etwas muss dort ja passiert sein. Nur in Unterhose klettere ich durch die Vorschiffkoje aufs Vordeck. Der Schein meiner Stirnleuchte ermöglicht es mir wenigstens meine nächste Umgebung zu sehen. Der Blick wandert zum Bugkorb. Und verharrt fassungslos auf der Ankerleine. Eigentlich sollte sie ja halbwegs voraus im Wasser verschwinden. Eine leichte Schräge: Klar, normal. Aber das…

Ich schüttle den Kopf, reibe mir die Augen und sehe noch mal hin. Doch an dem Bild ändert sich nichts. Der Ankerleine verläuft am Rumpf entlang nach hinten!

Sofort gehe ich in die Knie, versuche die Leine einzuholen. Die Äderchen zeichen sich im Schein der Taschenlampe ab, meine Muskeln spannen sich, werden hart. Doch bewegen tut sich nichts. Die Ankerleine hat sich straff an den Bug gelegt, ist gespannt wie ein Drahtseil.

Bea Orca liegt in ihr quer im Strom, bietet den Gezeiten den maximal möglichen wiederstand. Es grenzt an ein Wunder, das der Anker ob dieser Kräfte nicht längst ausgebrochen und wir auf drift gegangen sind.

Wobei. Ich runzle die Stirn. Vielleicht wäre dies besser. Würde der Anker nicht mehr fest hängen, ich müsste doch eigentlich das ganze Geschirr recht gut einholen können. Aber so…

Erneutes Kopfschütteln. Ich muss handeln, so kann es nicht bleiben.

Noch immer müde begebe ich mich ins Cockpit und starte den Motor.

Nur um ihn sofort wieder abzustellen, noch bevor ich einen Gang eingelegt und die Schraube gedreht habe.

Die Ankerleine verschwindet etwa Mittschiffs unter der Wasserlinie. Wer weiß wie sie verläuft. Auf keinen Fall will ich meine Ankerleine in die Schraube bekommen – dies bekäme wohl weder der Leine noch meiner Schraube sonderlich gut.

Aber wie soll ich sonst aus dieser Situation kommen? Solange Bea Orca quer im Strom liegt ist an Schlaf nicht zu denken. Und diesen sehne ich mir herbei.

Meine erste Idee ist, mal wieder ins Wasser zu gehen. Aber nein. Ich schüttle den Kopf. Zum stehen ist es sicherlich schon zu tief. Und schwimmend würde ich Bea Orca wohl nicht so einfach im Strom bewegen können. Nein, gerade bei Nacht erscheint es mir selbst mit einer Sicherungsleine als zu gefährlich hier zu schwimmen.

Oder kann ich doch noch stehen?

Sicherheitshalber mache ich das Echolot kurz an. Zwei Meter dreißig Wassertiefe haben wir. Verdammt. Das ist deutlich zu tief.

Während ich es erneut mit einer gewissen Frustration versuche uns durch ziehen an der Ankerleine zu befreien kommt mir eine Idee.

Eilig begebe ich mich zurück ins Cockpit und ergreife die Pinne. Lege ich sie, so bewegt sich das Boot deutlich im Strom. Kurzerhand packe ich einen Festmacher, lasche die Pinne fest und eile zurück zum Bug. Ob die Bewegung wohl ausreich um die Leine locker zu bekommmen und uns zu befreien?

Mehrere Minuten versuche ich, ziehe immer und immer wieder. Vergebens. Noch immer erschöpft – ich wollte doch eigentlich jetzt tief und fest schlafen – sehe ich mich um. Ich brauche mehr Kraft im Boot. Nur wie soll ich die vor Anker bekommen?

Während ich so auf dem Vorschiff sitze schießt mir schließlich ein Gedanke durch den Kopf.

„Na klar du Idiot! Du hast doch ein Segelboot!“

Zuversichtlich, dass mein Plan gelingen wird, befreie ich das Großsegel und eile nach hinten ins Cockpit. Schnell ist die Großschot von der Klampe gelöst und das Großsegel mit kräftigen Zügen gesetzt. Doch noch drückt uns der Wind genau in die falsche Richtung.

Ich löse die Großschot ein Stück, gerade so weit wie nötig und klettere nun aufs Vorschiff.

Für meinen Plan mag ich lieber in Luv des Baumes stehen – nur so zur Sicherheit. Auf die Idee, das ich auch sicherheitshalber eine Talje hätte spannen können komme ich erst am nächsten Tag. Mit beiden Händen packe ich das Baum inklusive Segel und ziehe es nach hinten. Kurz wird das Tuch locker, dann steht das Segel back. Meine Muskeln sind angespannt, ich halte zehn Quadratmeter Tuch gegen den Wind. Obwohl ich praktisch nichts sehe spüre ich, das es etwas bringt – und beiße die Zähne zusammen. Ich spüre wie sich Bea Orca bewegt. Erst langsam, dann etwas schneller und dann… killt das Segel. Erleichtert bringe ich den Baum zurück in die Mitte des Bootes, knalle die Großschot dicht und berge das Segel. Bea Orca liegt wieder ruhig vor Anker

Erleichtert geht es zurück in die Koje. Doch so ganz ruhig bin ich noch immer nicht. Erneut kontrolliere ich unsere Position auf dem Tablett, doch alles ist gut. Der Anker hat die ganze Zeit gehalten.

Ich wälze mich ein wenig hin und her. So bringt das nichts. Dieses Mal greife ich zum Smartphone und stelle einige neue Wecker.

Ich hatte mir für die Nacht Wecker im neunzig Minuten Tackt sowie zum kentern der Tide gestellt. Daraus werden nun dreißig Minuten. Alle dreißig Minuten einen kurzen Rundumblick sowie eine Positionskontrolle via GPS. Das ist zwar nicht unbedingt meine definition von ruhigem schlaf. Doch schon bald sollte sich zeigen, das es wohl die beste Methode war nach so etwas überhaupt schlaf zu finden. Denn kaum habe ich das Smartphone programmiert zur Seite gelegt klappen meine Äuglein zu und ich schlafe ein.

Sonnenaufgang. Der Anker hat gehalten

Das nächste Mal stehe ich um sechs in der Früh an Deck. Der Grund: Die Fischerkutter verlassen Dorum und fahren unweit meines Ankerplatzes vorbei. Für dreißig Minuten stehe ich an Deck, halte aktiv Ankerwache, jederzeit bereit notfalls Anker auf zu gehen. Doch schon nach einer viertel Stunde ist der letzte Kutter ins Wattenmeer verschwunden und ich bin wieder alleine. Zumindest für den Moment.

Erleichtert kuschle ich mich in meine Koje. Ich mag noch ein wenig Schlaf nachholen. Es war eine überraschend ereignisreiche Nacht.

Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen am 24.08.2016.

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Sebastian

3 Kommentare

  1. Meist wirst du nicht mir der Tide losfahren wollen in der Nacht also morgens bei Niedrigwasser den Heckanker einholen andererseis kannst du doch mit einer Festmacherleine vorn das Ankertau verlängern für das Manöver des Einholens.

  2. Schon mal dran gedacht bei Niedrigwasser einen zweiten Anker nach achtern auszubringen und sauber in den Boden zu drücken Dann dann Ruder fest mittig einstellen. Wichtig das Ankertau auf beiden Achterkampen gleichmäßig belegen

    • Gute Idee! Hatte ich noch nicht dran gedacht. Aber wie ist das dann wenn ich ankerauf gehe? Hänge ich dann nicht zwischen zwei Ankern? Oder gebe ich dann eben nicht die ganze Leine am Bug und lasse mich mit dem letzten Rest leine (der dann ja größer sein müsste) rückwärts treiben? Und wenn ich nickt trockenfalle ist das natürlich auch nur aus dem Beiboot möglich. Aber immerhin eine möglichkeit so etwas zu verhindern. 🙂
      Danke!
      Viele Grüße,
      Sebastian

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