Die Geschichte einer Gastlandflagge

…1,7 Meter, 1,6 Meter 1,5 Meter unter den Kielen. Ich reiße an der Pinne, nichts wie weg hier!

Doch noch bevor sich Bea Orcas Kurs ändern kann schnellen die Zahlen nach oben. Nur wenige Meter später habe ich wieder fünf Meter Wasser unter den Kielen. Tendenz weiter steigend. Ich habe das Gatt hinter mich gebracht. Und: Ich bin in den Niederlanden. Jenem Land, in dem ich meine ersten Segeltörns gemacht habe. Ein Glücksgefühl breitet sich in mir aus. Es ist einfach großartig wieder hier zu sein. Während die Wassertiefen zügig auf bis zu zehn Meter steigen lasse ich im Süden die unbewohnte Insel Rottumeroog hinter mir.

Ich habs geschafft, bin in den Niederlande. Wow. Damit hätte ich noch vor wenigen Tagen nicht gerechnet.

Mit gut gefüllten Segeln geht es weiter nach Westen. Die Betonnung ist bescheiden aber reichend, zumindest mit dem Fernglas gelingt es mir stets die nächste Tonne zu entdecken. Doch dann gleitet mein Blick ins Rigg. Dort fehlt etwas. Etwas wichtiges, etwas das dort nun definitiv sein sollte. Etwas das ich nicht habe. Eine Gastlandflagge. Bei den aktuellen Bedingungen, einem überschaubarem Wind von drei Windstärken sowie kaum Welle, gibt es eigentlich keinen Grund keine zu setzen. Nur einen, den gibt es dann doch: Wenn man keine hat. So wie ich.

Meine Stirn kräuselt sich. Nun ja, ich bin darauf vorbereitet gewesen. Weder auf Langeoog noch auf Baltrum hatte ich eine gefunden. Und mich daher auf Baltrum auf eine etwas kreativere Alternative eingestellt.

Kurzerhand schlage ich das Logbuch auf und reiße die letzte Seite Papier heraus. Sie hat relativ genau die Größe die eine Gastlandflagge für mein Boot hätte. Dann hole ich die extra hierfür gekauften Buntstifte ins Cockpit – und beginne zu malen. Die Flagge der Niederlande ist glücklicherweiße nicht übermäßig kompliziert. Tatsächlich erscheint sie mir sogar ehr recht einfach zu sein. Drei Farben, eine davon Weiß… das bekomme auch ich noch hin. Natürlich, dessen bin ich mir bewusst, wird eine selbstgemalte Gastlandflagge nicht ewig halten. Doch den Anspruch habe ich nicht. Im nächsten Hafen will ich mir definitiv eine Richtige, eine aus Stoff kaufen. Dies hier ist eine improvisation, eine Übergangslösung. Nicht mehr.

Schließlich habe ich meine selbstgemalte Gastlandflagge fertig. Doch noch ist sie nicht im Rigg. Sie an der dafür vorgesehenen Leine zu setzen ist kaum möglich, immerhin fehlt der Faden zum Befestigen. Stattdessen ergreife ich zwei hölzerne Wäscheklammern und steige so bewaffnet und angeleint aufs Vorschiff. Mithilfe der Wäscheklammern befestige ich die gemalte Gastlandflagge am Steuerbordwant.

Alles weit vom Idealfall. Das ist stark improvisiert. Aber irgendwie freut mich das, macht mich fast ein klein wenig stolz. So ein wenig Improvisation gehört zum Segeln letztlich auch dazu. Und das ist mir nun wahrlich gelungen! Eine selbstgemalte Gastlandflagge – wenn das nicht mal eine Improvisation ist.

Doch nun da sie hängt fühle ich mich gleich besser. Bis zum ersten Hafen reicht dies zumindest mir emotional absolut aus. Den Willen demonstriere ich damit ganz klar. Und nur wegen einer fehlenden Stoffflagge die Niederlande nicht zu besuchen – davon hätte ja wohl auch niemand etwas gehabt.

Mit vier Knoten über Grund geht es weiter nach Westen. Eine sanfte Briese schiebt uns über Grund, dazu das ablaufende Wasser. Ob das noch reicht um ans Westende von Schiermonikoog zu kommen? Nun, nur die Zeit wird mir dies zeigen können. Noch bin ich jedenfalls nicht bereit den Dieselmotor anzuwerfen.

Um viertel vor Zehn genehmige ich mir mit einem Glas Apfelmark ein zweites Frühstück. Bald werden wir das Huibertgat. Im Süden wird es schon bald flach. Und das beeindrucken, man kann den Unterschied gar an der Wasserfarbe erkennen. Oder bilde ich mir dies ein? In jedem Fall achte ich sehr darauf mich ausreichend frei zu halten.

Das Segen passiert eigentlich wie von selbst, ich habe nicht viel zu tun. Die meiste Zeit lese ich, schreibe Logbuch – oder träume. Nach dem Frühstück muss ich an meinen letzten langen Seeschlag denken. Auch dort, auf dem Weg vom Weser-Elbe-Wattfahrwasser nach Spiekeroog hatte ich sonniges Wetter. Und danach trotz Eincremen in der Früh einen Sonnenbrand. Das zu wiederholen… nein, besser nicht.

Kurzerhand hole ich mir auch noch die Sonnencreme aus dem Cockpit und creme mich zum zweiten Mal ein. Erneut einen, wenn auch nur leichten Sonnenbrand, darauf kann ich verzichten.

Während wir uns dem Ende des Gat nähern passiert uns ein großes Schiff. Es ist das erste andere Wasserfahrzeug das ich seit dem Verlassen der Ems sichte. Und es zieht sogleich eine steile Welle hinter sich her, gibt sein bestes mich ordentlich durchzuschütteln. Ich muss mich festhalten während Bea Orca stark von Backbord nach Steuerbord und zurück rollt. Dann, nach einigen Wellen, beruhigen sie sich wieder. Zurück bleibt nur die lange, geradezu angenehme Welle die mich schon länger begleitet.

Der Wind flaut unterdessen ab, nur noch ein bis zwei Windstärken stark ist er. Trotzdem geht es mit drei bis vier Knoten über Grund weiter.

So eine Tide ist doch etwas ungemein praktisches. Ohne sie würden wir stehen. So hingegen machen wir gute Fahrt, kommen immer noch mit einem guten Tempo voran. Etwas mehr Wind würde aber nicht schaden, mehr noch, währe gut. Noch bin ich aber guter Dinge das er etwas auffrischt. Flaute war so eigentlich nicht gemeldet.

Um zehn Uhr wird mir langsam etwas sehr warm unter der Jacke. Die Sonne scheint hoch und kräftig vom Himmel, das Ölzeug, in der Früh noch angenehm, wird langsam zum Schwitzanzug.

Der Wind wird unterdess noch schwächer. Die Segel stehen gerade so noch im Wind, wirklich Fahrt durchs Wasser mache ich kaum noch. Es reicht gerade so um steuerfähig zu sein. Sollte ich vielleicht den Dieselmotor starten?

Aber ich will doch segeln!

Weitere fünfundzwanzig Minuten vergehen. Die Tide wird zunehmend schwächer. Wir machen aktuell nur noch zwei Knoten über Grund. Das ich es nur unter Segeln an Schiermonikoog vorbei schaffe? Zumindest mit der angedachten Zeitspanne: Unwahrscheinlich. Ich will auf jeden Fall mit auflaufendem Wasser durch das Seegatt. Das sind zwar noch etliche Stunden, aber sobald die Tide kentert stehe ich unter segeln. Wenn ich beim aktuellen Schwachwind nicht sogar rückwärts treibe! Und so greife ich schweren Herzens zum Starter, drücke den Knopf und lausche wie der Dieselmotor gutmütig brummend anspringt. Ab sofort ist Motorsegeln angesagt.

Mit vier bis fünf Knoten geht es weiter nach Westen. Nach der angenehmen Ruhe während des segelns stört mich der Motor nun doch. Es ist so laut!

Als Trostpflaster haben wir echtes T-Shirtwetter. Die Sonne scheint kräftig, kitzelt meine Haut, wärmt. Trotz des laufenden Motors, ich bin einfach froh auf See zu sein. Wo sonst könnte es so schön sein wie hier?

Erst zwei Stunden später, wir nähern uns mit vier Knoten dem noch fünf Seemeilen entfernten Seegatt im Westen von Schiermonikoog, frischt es etwas auf. Eine sanfte Briese aus Nord weht über das salzige Wasser der Nordsee, treibt mir ihren lieblichen Duft in die Nase. Eine Wohltat. Das Sonnige Wetter und dann eine leichte Briese…

Ich bin versucht den Dieselmotor zu stoppen, einfach zu segeln, bin aber realistisch: Dafür ist der Wind zu schwach. Zwei Windstärken, mehr sind es nicht. Und die Tide kentert gerade. Nein, zumindest bis zum Seegatt muss ich weiter dieseln, ob ich will oder nicht.

Nachdenklich sehe ich in mich hinein, beobachte meine Gefühle. Seit ich die Untiefe hinter mir habe, draußen auf See mit tieferem Wasser bin hat sich ein ausgeprägtes, friedliches und wohliges Gefühl in mir breit gemacht. Es ist eben jenes Gefühl, das man wohl am besten als „Heimat“ oder „Zuhause“ bezeichnen kann. Das Gefühl von „hier bin ich richtig“, „hier gehöre ich hin“. Es  ist verrückt,  doch alles in mir sagt mir ganz klar: Hier auf See, da sollst, nein, musst du sein. Salziges Wasser, Wind, wenn auch gerne mehr als im Augenblick, blau, ein weiter, freier Horizont. Das ist es wonach dein Herz verlangt, was es ebenso braucht wie du Essen und trinken. Das Gefühl genau am richtigen Ort zu sein hat etwas beflügelndes, großartiges. Ich bade mich in dieser wohlingen, inneren Wärme, halte sie fest.

Es ist noch neu für mich, ungewohnt. Waren lange Seeschläge in meinem Kopf doch bis zu diesem Törn nie mehr als ein Mittel zum Zweck. Doch jetzt erscheint es mir fast umgekehrt. Häfen und Ankerplätze, mehr ein legitimer Zwischenstopp während der doch eigentlich wichtigen Zeit auf See. Nicht das ich auf das Erkunden neuer Orte verzichten wollen würde. Doch statt Segeln, die Zeit auf See vorrangig als eine schöne Art des Reisens zu sehen, so dreht es sich zunehmend um. Das Segeln, so scheint es mir, wird immer weniger ein Begleiter des Reisens. Ganz im Gegenteil: Das Reisen, neue Orte erkunden ein willkommener Nebeneffekt des Segelns.

Endlich, es ist gerade vierzehn Uhr, erreichen wir das Seegatt. Ich laufe ein.

Hier, zwischen den Inseln ist er Wind stärker. Glücklicherweise habe ich die Segel stehen gelassen und so kann ich einfach den Diesel stoppen und segeln.

Was für ein vergnügen! Genau so soll es sein.

Unter segeln geht es mit vier Knoten durch das Seegatt nach Süden. Genüsslich sauge ich nochmal die Schönheit der See, die weiten Horizonte und zugleich die nahen Inseln in mich auf. Es ist wahrlich schön hier.

Und doch, obgleich ich mitten in einem Seegatt segle, viel zu tun habe ich nicht. Natürlich, dieses Seegatt ist wohl eines der leichtesten, ist es doch tief. Und doch als ich zum Telefon greife und ein kurzes Telefonat mit meiner Mama führe überrasche ich mich selbst. Das hätte ich mich vor kurzem noch nicht getraut. Und doch erscheint es mir nun schon fast selbstverständlich hier ganz entspannt durch zu segeln.

Schon bald nähere ich mich dem Ende des Seegatts. Noch werde ich ein Stück weiter dem Fahrwasser folgen, doch schon bald muss ich mich entscheiden. Will ich nach Lauwersoog oder noch weiter durchs Watt?

Mit Lauwersoog würde ich einen Hafen  ansteuern, ganz klar, mit einigen Vorteilen. Andererseits, durchs Watt könnte ich mich Harlingen nähern. Bereits während meiner Törns mit meinem Schlauchsegelboot BEA habe ich davon geträumt dort einmal mit einem Seegängigen Boot hin zu kommen. Gewissermaßen einen Kreis zu schließen, etwas zu beenden was mit BEA angefangen hat.

Nachdenklich betrachte ich die Seekarte, sehe mir nochmal die Windvorhersage für die kommenden Stunden sowie die Tide an. Und treffe schließlich eine Entscheidung.

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Sebastian

7 Kommentare

  1. Ich bin ein großer Freund deiner vorgelesenen Text. Also der Audiodateien. Die Audio Dateien sind praktisch und hörbar weil viel zu leise aufgenommen
    Viele Podcast schicken ihre Audiodateien erst einmal grundsätzlich zu auphonic vielleicht solltest du das auch in Erwägung ziehen

  2. Moment bitte, bin nicht so schnell im Denken….
    Deine Geschichte die Du mit Datum 01.11. jetzt auf Deiner Seite on gestellt hast, hat im Juni also vor 6 Monaten statt gefunden und jeder der das jetzt liest denkt es war letzte Woche und dafür soll ich animiert werden auch noch Geld zu zahlen ?
    Oh Man Kleiner, Du bist ja ein Märchenerzähler….

    • Für mich, der den Blog regelmäßig liest, ist dies alles nachvollziehbar. Die Geschichte wird regelmäßig weiter geführt (richtig nicht immer steht ein Datum darunter) und zwischen drin geht es in Realtime weiter. Ich finde es gut und sage: weiter so!!!
      Andere Blogs hängen genauso hinterher. Dies ist auch damit begründet das ein guter Text Zeit braucht, die hat man auf Reisen nicht, oder möchte einfach mal genießen. Ein Blog ist ein Hobby und sollte niemals zum Zwang werden, schon gleich gar nicht durch Leser.
      So sage ich danke das du mich einfach so an deiner Reise teilhaben lässt.
      Für Realtime gibt es Facebook.

      Liebe Grüße

    • Alles gut. Bea Orca liegt ja hinterm Deich. Und hier in Hamburg von der Kira musste ich nur einmal durchs Wasser waten 😉

  3. Super! Willkommen in meinem Heimatrevier (Ijsselmeer,de Wadden usw.). Besuche auch Vlieland und staune über den Blick oben am Leuchtturm ! Und Terschelling „de Waalvis“ !!!

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