Heute soll es weiter gehen. Aber bevor ich nach fünf Nächten Neuwerk tatsächlich verlassen werde ich noch reichlich Zeit. Die Tide gibt mir meinen Rhythmus vor – und sie findet, ich soll erst gegen Nachmittag den Hafen verlassen. Ich hatte zunächst überlegt mit dem Hochwasser in der Nacht auszulaufen. Die Vorstellung mitten in der Nacht außerhalb jedes Fahrwassers im Wattenmeer unterwegs zu sein hatte mich dann aber doch abgeschreckt.

Neuwerk Achteraus
Lustlos sehe ich mir die letzten Reste meiner Vorräte an. Was für ein trauriges Bild. Eine Scheibe Brot. Ein kläglicher Rest Schokocreme. Immerhin noch ein halbes Glas Honig. Ein paar Zwiebeln, ein paar Nudeln. Außerdem noch ein Päckchen Mehl und eines mit Zucker – beide angebrochen. Das war’s, mehr ist nicht mehr an Bord. Ich muss also weiter. Nun ja, jedenfalls wenn ich mich nicht beim Inselkaufmann komplett neu versorgen will. Aber dafür müsste ich praktisch seine gesamten Vorräte an „richtigen“ Lebensmitteln aufkaufen – Süßwaren und flüssig Nahrung reichen eben auf Dauer nicht. Zudem geht auch mein Bargeldvorrat zur Neige, einen Bankautomaten scheint es auf der Insel nicht zu geben und ob man dort mit der Karte bezahlen kann?
Aber was jetzt? Die letzte Scheibe Brot mit Schokocreme? Oder Honig? Eigentlich ja lecker. Aber…. Schon wieder?!
Schließlich raffe ich mich auf, mache mich auf zum Inselkaufmann. Nur: Der hat noch zu. Also spaziere ich ein wenig um den Turm und durch den anliegenden Park.
Dann ist es so weit, man öffnet die Türen und ich stürze ins Innere. Gleich auf der rechten Seite im Kühlschrank greife ich zu: Quark. Irgendwie habe ich gerade riesig Lust auf etwas das ich schon lange nicht mehr gegessen habe. Quark, etwas Zucker rein, rühren, oben drauf eine Schicht aus Zucker und Zimt. Lecker.
Zusätzlich kaufe ich noch eine Tüte Milch und eine Packung Kekse, dann verlasse ich den Inselkaufmann.
Zurück an Bord bereite ich mir meinen Quark vor. Während ich ihn genüsslich löffle liegt neben mir mein ebook-Reader. Ich bin gerade bequem und faul. Erst um etwa elf Uhr raffe ich mich auf. Ein letzter Spaziergang um die Insel. Und: Der erste nur für mich. Mit einem breitem Grinsen verlasse ich das Boot. Ohne Kamera, und Smartphone und ohne Actioncam mache ich mich auf die Insel vor meiner Haustür ein letztes Mal vor dem Ablegen zu umrunden. Einfach nur für mich.

Seekarte – ohne ist schlecht…
Zurück an Bord ist es an der Zeit fürs Mittagessen. In der Früh habe ich die Milch geöffnet um etwas davon mit dem Quark zusammen zu rühren, jetzt muss auch der Rest getrunken werden. Also gibt es heiße Milch mit Honig und etwas Zimt, dazu ein paar Kekse. Nach dem Erlebnis vom Vortrag brauche ich gerade etwas süßes um ruhig zu bleiben. Dafür gibt es für Aufregung gar keinen Grund: Bleiernde Flaute liegt über der Deutschen Bucht. Ein herrlicher Sommertag. Außer man will segeln, dann fehlt der Wind. Aber um aus diesem Hafen mit meinem Tiefgang heraus zu kommen – top. Sollte ich auflaufen kann ich heute wieder aussteigen und ziehen oder schieben.
Es ist gerade drei Uhr als der Jollenkreuzer, der die letzten Tage mit mir im Hafen verbracht hat ausläuft. Ich muss noch ein wenig warten, noch steht Bea Orca im Schlick.
Ich will mich gerade auf machen zum Nationalparkhaus, aufs Klo bevor ich ablege, als mir ein Jollenkreuzer unweit der Hafeneinfahrt auffällt. Den will ich noch abwarten um beim Anlegen zu helfen.
Als ich genauer hinsehe fällt mir allerdings auf, das der Jollenkreuzer weder Segelt – was bei Flaute auch schwer wäre – noch motort. Er liegt vor Anker.
Auch gut, so denke ich mir, und gehe aufs Klo.
Zurück im Hafen erblicke ich zwei Teenagerinnen die in den Hafen schwimmen. Kaum sind sie über die Leitern an Land geklettert läuft auch schon der Jollenkreuzer, der doch eben noch vor Anker lag ein. Die Mädchen laufen auf die andere Seite des Hafens um die Heckleinen anzunehmen, ich positioniere mich vorne und übernehme die Vorleinen. Schon liegt der Jollenkreuzer fest. Für mich ist es nun an der Zeit, ich gehe an Bord, schlüpfe ich meine Rettungsweste, starte den Diesel und Löse die Leinen.
Gemächlich setzt sich meine Große in Fahrt, schiebt sich auf die Hafenausfahrt zu. Ich bin nervös. Es ist eine Stunde vor Hochwasser. Werden wir es hier heraus schaffen?
Als das Echolot auf 30 Zentimeter abfällt halte ich den Atem an. Dreißig… Dreißig… Zwanzig… Zwanzig… Zwanzig… Zwanzig… Zwanzig…
Meine Nerven sind zum zerreißen gespannt, ich habe das Gefühl gleich zu platzen. Das ist verdammt eng!
Zwanzig…. Dreißig… Dreißig… Vierzig….
Wir sind raus. Puh. Eine Last, schwer wie Blei fällt mir vom Herzen. Der flachste Punkt bei der Anfahrt des Hafens ist die Hafeneinfahrt. Wenn ich jetzt hier raus bin, dann schaffe ich es auch bis zum Wattfahrwasser.

Geschafft – wir sind aus dem Hafen raus!
Grinsend werfe ich einen Blick auf mein Tablett. Auf dem Hinweg musste ich blind fahren, jetzt habe ich einen getrackten Kurs. Das sich die Wassertiefen in den letzten Tagen um zwanzig oder mehr Zentimeter geändert haben bezweifle ich einfach mal.
Doch was ist das? Laut Tablett bin ich noch immer im Hafen! Auch ein Neustart der Software sowie ein- und ausschalten des GPS helfen nicht.
Und jetzt? Mich mithilfe von Kreuzpeilung über das Wattenhoch navigieren? Pricken gibt es erst da vorne am Wattfahrwasser, und den direkten Weg kann ich nicht nehmen – zu flach.
Im Notfall würde es wohl klappen. Irgendwie. Obwohl: Abgesehen vom Leuchtturm fällt mir keine Vernünftige Landmarke ein. Aber im Notfall würde ich wohl irgend etwas finden.
Zunächst versuche ich aber die vermutlich älteste Computer-Reperatur: Einmal ausschalten und komplett neustarten. Und siehe da, das GPS tut seine Arbeit.
Es ist mittlerweile 16 Uhr. Ich beschließe ein wenig zu Schnippeln. Der Grund ist recht simpel, ich habe damit in der Zeit, in der ich blind war habe ich damit begonnen. Und jetzt weiter zu schnippeln ist kürzer als der Weg zurück.
Zudem – schnippeln ist ja eigentlich das falsche Wort. Denn wie soll ich schnippeln, wenn es eigentlich gar kein Fahrwasser sondern nur eine einzige, große Sandbank gibt?
Auf dem Weg zum Wattfahrwasser passe ich meine Geschwindigkeit der Wassertiefe an. Bei 0,6 oder mehr Metern Wasser unter den Kielen schießen wir mit 4 Knoten über Grund, bei wenigstens 40 Zentimetern sind es noch drei Knoten, bei weniger als vierzig Zentimetern halte ich uns irgendwo zwischen ein und zwei Knoten.

Blau…
Während das Wasser endgültig wieder tiefer wird und wir das Wattfahrwasser erreichen blicke ich zurück auf Neuwerk. Schön ist’s dort. Wirklich schön. Eine traumhafter schöner, grüner Flecken mitten im Watt. Ich hatte eine wundervolle Zeit die ich nicht missen mag. Wieder kommen? Gewss. Davon bin ich überzeugt.
Aber: Nicht in den Bauernhafen. Das ist mir zu eng, erneut hält dies mein Herz nicht aus. Ich werde mich wohl mal mit dem Westanleger auseinandersetzen müssen.
Die Ereignisse in diesem Beitrag geschahen am 23.08.2016.
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Bei einem Kimmkieler mit 80cm T der auf eine Untiefe im Watt geschoben wird kann man gut rausspringen mit dem Anker ins tiefere bis gut 1m laufen und den Anker mit dem Fuß in den Boden drücken. Zurück das Tau stramm durchsetzen, daß sich das Boot zur Welle dreht. Waren wir zu zweit drückte ich dann von hinten gegen das Boot und Puse holte das Ankertau dicht.
Mit einem Jollenkreuzer ist das bei 40cm natürlich viel einfacher. Bei 1m ist die Wellenhöhe 35cm nach Neumann
Möglich. Aber das sich auch eine Frage von Erfahrung – und Mumm. Ich habe die Wellen zu diesem Zeitpunkt nicht als harmlos empfunden und mich aus Sicherhheitsgründen nicht ins Wasser getraut. Im Nachhinein kann ich es nicht mehr ändern. Wie man so eine Situation erlebt ist sicherlich individuell. Ich bin froh das am Ende alles gut gegangen ist und habe für mich daraus gelernt, nicht in Häfen zu fahren wenn es (absehbar) so flach ist. Was sicher mit dafür verantwortlich ist, das es zwar spannende Situationen, aber keine so brenzligen mehr gab. Und ich somit auch keine dramatischen Beiträge über 2016 mehr schreiben muss. 🙂
Viele Grüße,
Sebastian
Ich bin mehrfach in Neuwerk gewesen erst auch mit Kimmkieler Super Dorade auch nachts eingelaufen zur Verwunderung der Dorfbewohner in der Kneipe. finde den Stil deiner letzten Dramatik absolut unpassend. Deine ersten Beiträge waren besser
Hallo,
schade das es dir nicht gefällt. Ich achte sehr darauf meine Beiträge so zu schreiben wie ich es zum Zeitpunkt der Ereignisse erlebt habe um meine Leser „mit an Bord“ zu holen. Wenn das eigene Boot kurz vor dem Ufer querschlägt und auf die Untiefe in Richtung Brandung geschoben wird IST dies einfach erstmal dramatisch. Danach muss man sich beruhigen. Und wenn man am nächsten Tag (wenn auch bei flaute) erneut raus fährt und weiß, das die Ausfahrt flach ist…
Es kommen auch wieder zahlreiche ruhigere Beiträge. So ein Törn ist (zum Glück) nicht immer Nervenraubend. Und die sind dann auch wieder – wie gewohnt – ruhig und entspannend. 🙂
Viele Grüße,
Sebastian