
Haus auf Baltrum
Kaum bin ich auf den Beinen geht es an Land, duschen. Dann geht es auch schon ins Inseldorf. Mein Ziel ist die Bäckerei. Obgleich ich meinen Brei recht gerne esse, heute ist mir mehr nach Brötchen.
Gemütlich frühstückte ich an Bord, plane den heutigen Schlag. So ganz einfach ist das nicht. Natürlich, der Kurs ist klar: West. Aber wie weit? Auf jeden Fall mindestens bis zum Riffgatt. Dort könnte ich ankern – oder eben weiter und auf Norderney in den Sportboothafen. Prinzipiell würde es wohl notfalls reichen. Norderney könnte ich durchs Seegatt raus und dann vor den Inseln bis in die Niederlande. Oder alternativ die Ems hoch nach Delfzijl. Delfzijl wäre sogar recht einfach möglich. Ja sogar durchs Watt. Zwischen Norderney und Delfzijl liegen nur zwei Wattenhochs – das sollte klappen.

Pferdewaagen. Auf Baltrum ein normales Transportmittel
Ich will aber außen herum. Mich hat das Seefieber gepackt. Es zieht mich raus, auf offenes Wasser. Und, das spüre ich, Delfzijl wäre ein Kompromiss. Ich will weiter. Es zieht mich vorwärts, immer weiter. Zieht mich raus, auf offenes, weites Wasser. Ich will dahin wo der Horizont in jede Richtung blau ist, man kaum erkennen kann was Himmel und was Erde ist. Will zu einem kleinen Punkte im endlosen Blau des Meeres werden. Ich will raus. Raus, auf See. Und dann immer weiter.

Schaumkronen auf dem Wattenmeer
Also sehe ich mir noch das nächste Seegatt an: Juist. Ja, auch das sollte gut zu machen sein. So weit ist es schließlich nicht. Tatsächlich ist die Strecke so kurz, ich sehe mir noch das dritte Wattenhoch an. Borkum. Doch hier schüttle ich den Kopf. Ja, es ist gut das ich es mir angesehen habe. Und wenn alles perfekt läuft, dann schaffe ich es dort noch drüber. Aber: Es wäre verdammt knapp. Und es muss davor wirklich gut klappen. Mir persönlich ist es eindeutig zu eng. Nein, ich werde wohl südlich von Juist mir einen Ankerplatz suchen. Die Nacht soll ruhig werden, da sollte ich etwas ausreichendes finden.

Südlich des Seegatts
Und: Von dort aus kann ich auch wunderbar morgen meinen langen Schlag machen. Mit dem Morgenhochwasser sollte ich über das Wattenhoch von Borkum kommen. Dann die Ems raus, vor den Inseln bis hinter Schiermonikoog und dort durch das Seegatt wieder ins Wattenmeer. Das Seegatt von Schiermonikoog ist tief genug um selbst bei Niedrigwasser passierbar zu sein, das macht die Sache recht einfach. Durchs Seegatt rein und dem tiefen Wasser bis Lauwersoog folgen. Das ist doch ein Plan!

Flaute.
Alternativ könnte ich natürlich auch die Osterems raus und außen herum Kurs Schiermonikoog nehmen. Aber mal sehen – so viel wird sich das nicht nehmen.
Dann geht es nochmal ins Inseldorf wo ich mir einige Häuser ansehe und ein paar Stifte kaufen. Die restliche Zeit bis zum Ablegen verbringe ich mit einer Mischung aus lesen, im Internet surfen und entspannen.

Wie kleine Eisschollen…
Erst um 14.00 Uhr starte ich den Einbaudiesel, löse die Leinen und verlasse Baltrum. Eine weitere, schöne Ostfriesische Insel die in meinem Kielwasser liegt. Und eine weitere Insel, die sicherlich auch einen zweiten Besuch wert ist.
Zusammen mit einem Jollenkreuzer verlassen wir den Hafen.
Es herrscht bleierne Flaute, an Segeln ist nicht zu denken. Und so schiebt uns der Motor weiter vorwärts. Die Geräusche des Motors, sein brummen und das spucken des Wassers aus dem Auspuff wollen nicht so ganz in die Landschaft passen.

Seehunde! 🙂
Das Wasser ist unglaublich Blau. Zahlweise weiße Schaumkronen schwimmen auf ihm, ihre Herkunft ist mir ein Rätsel. Doch sieht es wunderschön aus und ich beschließe, das sie natürlicher Herkunft sind. Während wir binnen das Seegatt passieren wundere ich mich über die Wellen in eben diesem. Es ist schon halbes Hochwasser, Wind weht nicht die leichteste Prise. Trotzdem brechen sich von See kommende Wellen tosend auf den Sänden. Ich muss an meine Beobachtung vom Vortag denken. Dies hier ist wahrlich eine Todesfalle.

Ganz viele Seehunde 🙂
Schließlich erreiche ich das Ostende von Norderney – und habe die Freude eine Seehundbank aus der Nähe zu sehen.
Nicht etwa das ich Mutwillig ran fahren würde, nein. Aber das Fahrwasser führt direkt daran vorbei! Und an dieser Stelle werde ich ganz gewiss das Fahrwasser nicht verlassen, zu viele Untiefen die auch für mich ein Problem werden könnten befinden sich in der Nähe.

Norderney im Norden
Zudem scheint es die Seehunde nicht im geringsten zu stören. Unbeindruckt von den vorbeifahrenden Schiffen liegen sie am weiten Sandstrand von Norderney in der Sonne. Ich liebe Seehunde, sie sind einfach unfassbar putzig. Und dank der neuen Kamera mit Teleobjektiv kann ich sie sogar auf Fotos so abbilden, das man sie erkennt! Ich bin begeistert, mache einige Fotos – und zwinge mich dann selbst dazu die Kamera wegzupacken. Gerade in wundervollen Augenblicken wie diesen muss ich den Blogger in mir ermahnen sie auch wirklich zu genießen. Es wäre eine Schande dies hier nur durch den Sucher meiner Kamera zu erleben.

Vorbei an Dünen…
Zügig passieren wir die Seehunde. Der Motor läuft und die Tide schiebt von hinten kräftig mit. Solange es mir möglich ist blicke ich immer wieder in Richtung der Seehunde, erfreue mich von Herzen dieses wundervollen Anblicks. Es ist einfach großartig.
Unter Norderney geht es weiter, immer weiter nach Westen. Ich spüre förmlich wie es mich weiter treibt. Und damit meine ich nicht nur die Tide, die noch immer gut mitschiebt. Nein, in mir zieht mich etwas immer weiter. Es erscheint mir verrückt das ich erst vor einigen Jahren einen Bausparvertrag abgeschlossen, von einem Haus geträumt habe. Heute für mich absolut abwägig. Ich will raus, reisen. Die Welt entdecken. Segeln! Ich spüre förmlich wie ich hier draußen aufatme, mich entspanne. Genieße. Und noch ein klein wenig mehr ich selbst bin. Wie ich… Zuhause bin.
Das Wattenhoch macht seinem Namen Ehre. Gerade mal 40 Zentimeter Wasser unter den Kielen zeigt das Echolot an. Doch es ist noch bedeutend vor Hochwasser, selbst wenn ich auflaufen würde: Ich würde wieder aufschwimmen. Zudem erscheinen mir vierzig Zentimeter, je länger ich im Wattenmeer bin, zunehmend viel zu sein. Schon seltsam.
Während wir über das Seegatt dieseln frischt der Wind langsam auf. Und so beschließe ich schließlich als das Wasser wieder tiefer wird die Segel zu setzen.

Flaute.
Was für eine Wohltat! Groß und Genua stehen. Ein raumer Wind greift in das weiße Tuch, schiebt uns gemächlich voran. Lautlos, den Diesel habe ich natürlich abgeschaltet, zeichnet Bea Orca ihren Kurs durch das blaue Wasser des Wattenmeers. Voraus liegt der Ankerplatz im Riffgatt. Hier wollte ich mal hin. Doch nicht heute – heute geht es weiter, immer weiter.

Auf zum Wattenhoch
Ob dies wohl das ist, was man unter Fernweh versteht? Ich bin mir nicht sicher. Was mich treibt ist nicht der Wunsch weit weg zu kommen. Ich spüre nicht das Verlangen eine große Distanz zwischen mich und Deutschland zu bringen. Mitnichten. Deutschland hat wie ich finde eine spannende Küstenlandschaft zu bieten! Was mich treibt das ist schlicht und einfach. Es ist die Sehnsucht nach Meer, nach der See. Nach dem blau, dem Salz und dem Wind. Dieses unglaubliche Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Dem Geschmack von Abenteuer auf den Lippen. Den weiten. Wo es mich hinführt? Das erscheint mir herzlich zweitrangig. Natürlich, es gibt Orte die mich mehr reizen als andere. Doch solange ich segeln kann scheint mir der Rest nicht übermäßig wichtig zu sein. Eine interessante Feststellung.
Schließlich starte ich mit einem kurzen Zähneknirschen erneut den Dieselmotor. Der Wind alleine ist zu flach, nur mit ihm schaffe ich es heute möglicherweiße nichtmals über das Wattenhoch von Juist. Und das will ich dann doch schaffe.
Dies ist wohl der Preis wenn man Strecke in diesem faszinierenden Revier machen mag. Das Wattenmeer ist da nicht ganz einfach, jedenfalls nicht mit einem ehr schwerfälligem Boot wie dem meinen. Bei Schwachwind – heute sind es zwei bis drei Windstärken – komme ich nur gemächlich voran. Da heißt es entweder den Motor anwerfen oder sich mit kleinen Schlägen begnügen. Zweiteres kommt aktuell nicht in Frage.

Begegnung im Wattenmeer
Nach einem Moment des zerknirscht seins lächle ich wieder. Hey, immerhin tut auch der Wind seinen Teil. Und die Sonne scheint, das Wasser ist blau, ich komme immer weiter nach Westen. Es ist schön hier zu sein. Und auch wenn der Diesel mal wieder mitläuft: Ich bin unterwegs! Ist das nicht einfach ein tolles Gefühl?
Als mich ein anderer Segler unter Motor überholt fällt mein Blick auf seinen Kegel.
Der Kegel! Den hatte ich ja ganz vergessen. Jetzt wo die Segel oben sind muss ich den ja setzen!

Das Festland im Süden
Eilig packe ich den meinen aus, hisse ihn. Nur um wenige Minuten später ein Polizeiboot zu sehen das an mir vorbei fährt.
Auch wenn ich natürlich nicht weiß ob sie etwas getan hätten – ich habe dieses „das war knapp“-Gefühl.
Schließlich lasse ich nicht nur den Ankerplatz im Riffgatt sondern auch den Yachthafen von Norderney hinter mir. Nein, da mag ich heute nicht hin. Mir ist, nicht nur wegen der Strecke sondern auch so, viel mehr nach einem schönen Ankerplatz.

Segel hoch! Es frisch etwas auf.
Kurz nachdem der Hafen achteraus liegt befinde ich mich auch binnen des Seegatts. Wir haben Hochwasser. Und trotz des schwachen Windes steht eine gewaltige Welle von der offenen Nordsee hier bis ins Wattenmeer. Rund einen Meter hoch scheinen die Wellen zu sein. Jedenfalls fürs Wattenmeer recht ordentlich. Und doch, ich werde nicht seekrank. Ich weiß: Vor einem Jahr wäre mir nun zumindest mulmig gewesen. Ich hätte mich hier an meinem Boot festgeklammert. Wäre nervös gewesen. Und jetzt? Jetzt sitze ich sehr entspannt im Cockpit und genieße den Ritt. Es macht mir sogar… Spaß! Wieder einmal merke ich: Ich bin viel entspannter und sicherer an Bord geworden. Fühle mich bedeutend wohler, auch wenn die Bewegungen etwas kräftiger werden. Großartig. Denn so öffnen sich mir mehr und mehr neue Welten. Zudem spüre ich wie ich, je mehr ich segle, desto mehr auch oder gerade längere Schläge auf See genießen lerne. Tatsächlich scheint es fast als würde es nach ein paar Stunden nochmal mehr Spaß machen.

Hohe Häuser. Seebad Norderney querab
Schließlich liegt auch dieses Seegatt achteraus, ich halte zügig auf das Wattenhoch von Juist zu. Die Tide hat mittlerweile gekentert, das Wasser läuft ab. Doch ist dies kein Problem, ich habe noch mehr als genug Wasser. Einen Meter unter den Kielen um genau zu sein. Es ist so viel, ich schaue nur gelegentlich aufs Echolot. Meine Rechnung stimmt, alles ist gut. Kein Grund nervös zu sein. Und so bin ich es auch nicht.

Die Westseite von Norderney liegt hinter mir.
Hinter dem Wattenhoch beginne ich mir Gedanken wegen des Ankerplatzes zu machen. Ich habe auf der Seekarte zwei potentiell mögliche Plätze gefunden. Der etwas weiter entfernte wäre östlich von Borkum. Borkum selbst werde ich nicht schaffen, selbst mit Vollgas erreiche ich das Wattfahrwasser nicht rechtzeitig. Für einen Augenblick erwäge ich direkt die Osterems hinaus zu fahren und Kurs auf die Niederlande zu nehmen, verscheuche die Idee aber vehement aus meinem Kopf. Ja, ich bin noch fit. Doch liegt die Betonung eben auf noch. Bis Schiermonikoog – dem nächsten Seegatt hinter der Ems durch das ich jederzeit ins Watt kann – ist noch weit entfernt. Viel zu weit um dort noch hin zu segeln. Oder schlimmer noch: Dieseln. Zu zweit oder mit bedeutend mehr Erfahrung wäre dies vielleicht eine Möglichkeit. Ich könnte mir eine Eieruhr stellen oder man könnte einen Wachrhytmus festlegen. Dann, ja, dann würde ich sofort weiter machen. Wäre das nicht toll?
Aber egal. Weder habe ich die nötige Erfahrung um Einhand so lange schläge zu machen, bei denen ich mit Eieruhr und 15-Minuten-Rhythmus schlafe. Von der nötigen Selbststeuerung mal abgesehen. Zum anderen habe ich auch keine Crew für einen Wachrhythmus. Also: Ankern.
Die Alternative zu dem Ankerplatz nahe Borkum ist einer südlich von Juist. Borkum wäre natürlich schon bedeutend näher am Ziel. Außerdem würde ich somit die Strecke dorthin mit der Tide machen und könnte gleich doppelt länger schlafen. Der Nachteil ist: Ich bin mir nicht sicher ob er ausreichend geschützt ist. Ich kann nicht ausschließen das dort Wellen von der offenen Nordsee rein stehen. Was wenn dem so ist? Dann müsste ich dort angekommen umkehren und zurück zur Option südlich Juist. Wenn er ausreichend geschützt ist, dann wäre dies eindeutig die bessere Option, würde mir weitaus mehr Schlaf ermöglichen. Und ich wäre gleich näher am Ziel. Soweit so gut. Doch schließlich beschließe ich, lieber die erste Option zu nehmen: Südlich Juist. Auch von hier sollte ich morgen in der Früh mich gut auf den Weg machen können und noch problemlos übers Wattenhoch kommen. Was den Schlaf betrifft: So ich nicht zu lange aufbleibe kann ich auch hier ausreichend Schlaf finden um für den morgigen, weiten Schlag fit genug zu sein.

Es wird langsam Abend…
Kurz blitzt ein anderer Gedanke in mir auf. Ich könnte natürlich, wenn Option zwei nicht klappt auch außen herum in die Ems und dort ankern. Oder, wenn ich außen bin eben durchziehen bis…
Nein, Sebastian. Einfach nur nein!
Ich merke wie mich meine Sehnsucht nach langen Schlägen und der See selbst erschrickt. Ich muss aufpassen – oder Bea Orca angemessen ausrüsten. Ich habe soeben ernsthaft darüber nachgedacht meinen Schlag so zu verlängern das ich am Ende vierundzwanzig Stunden am Stück unterwegs wäre. Nein, nein, nein. Einfach nur nein. Dies ist schlicht und ergreifend keine Option, kann nicht, nein darf nicht sein. Noch ahnte ich nicht, das ich mich in nur wenigen Monaten anders entscheiden würde.
Erleichtert atme ich auf als ich südlich von Juist den Anker werfe. Keine Dummheit begangen.
Der Ankerplatz ist schlecht geschützt, in Anbetracht von Schwachwind aber mehr als ausreichend. Umso mehr, da ich schon vor dem nächsten Hochwasser meine Fahrt fortsetzen werde! Trotzdem gebe ich die komplette Ankerleine – immerhin die zehnfache Wassertiefe bei Hochwasser! Sollte es unerwartet auffrischen will ich Bea Orca gut gesichert wissen. Zumindest für die Zeit die ich brauche um aufzuwachen und meine Fahrt fortzusetzen.

Abendstimmung südlich von Juist. Eigentlich bin ich ja schon am Schlafen…
Noch ist es zu früh zum schlafen, ich würde noch kein Auge zu bekommen. Und so backe ich ein paar Brötchen auf. Einen Teil esse ich mit Tomate, Salz und Hefeflocken, der Rest wird für den nächsten Morgen weggepackt.
Gegen neun liege ich endlich in der Koje. Von nun an wird jede Stunde einmal der Wecker klingen zur Ankerkontrolle. Ansonsten habe ich bis 04.00 Uhr Zeit.
Ein letztes Mal ausreichend Wach für ernsthafte Erinnerungen war ich kurz darauf, um 22.00 Uhr. Der Sonnenuntergang war traumhaft. Doch schon schnell sinke ich wieder in meine Koje. Ich weiß: Ich brauche den Schlaf um morgen fit zu sein. Und überraschender weiße hält mich dies nicht wach.
Kennt ihr es auch, dieses Gefühl das euch immer weiter zieht? Lasst es mich in den Kommentaren wissen. Wenn es euch gefallen hat, abonniert doch meinen Blog per Mail und schaut mal auf Facebook und Patreon vorbei.
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