Gut gelaunt schäle ich mich aus dem Schlafsack. Die Sonne ist bereits über dem Horizont, draußen ist es angenehm. Doch ein Blick auf die Nahrungsvorräte bestimmt den nächsten Programmpunkt. Da ist nicht mehr viel. Genauer gesagt: Kaum noch was. Ich muss heute einkaufen. Mein Tagesziel ist Harlingen, doch wann werde ich dort ankommen? Wenn nichts dazwischen kommt müsste ich zwar rechtzeitig da sein um noch einkaufen zu können doch ist eben das der Punkt. Wenn nichts dazwischen kommt. Und ich muss die gesamte Strecke paddeln, teilweise auch gegen den Wind. Und so beschließe ich fürs erste einen Supermarkt zu suchen. Es geht in Richtung Ijsselmeer, am Südrand von Makkum hatte ich gestern einige Werbeplakate für einen Supermarkt gesehen. Da würde ja wohl einer in der Nähe sein…?
So Schön der Hafen auch ist, mein Zeitplan lies eigentlich nicht die nötige Zeit um lange herum zu schlendern. Und in der Nähe der Werbeplakate war auch kein Supermarkt zu entdecken. Sicherheitshalber spreche ich eine Frau an, doch sie ist auch nicht von hier und kann mir nicht wirklich helfen. Nun, wenn im Süden nichts ist, vielleicht finde ich ja was mitten in der Stadt?
Die Altstadt von Makkum gefällt mir an diesem Morgen ausgesprochen doch zugleich habe ich es eilig. Es ist bald acht Uhr und ich habe eine weite Strecke vor mir. Das Wetter soll nicht besser werden. Und wenn ich nicht heute ans Meer komme, dann komme ich gar nicht mehr ans Meer. Jedenfalls nicht während dieses Törns.
Schließlich bleibe ich neben einem Gerüst stehen auf dem eine Malerin am Werke ist. Sie ist sicherlich von hier – und wird mir wohl helfen können. Aber was hieß Supermarkt noch mal auf Niederländisch…?
Kurzerhand erkundige ich mich ob sie Deutsch oder Englisch spricht bevor ich mich nach dem Supermarkt erkundige. Und tatsächlich, unweit von der Innenstadt gibt es einen. Etwas abseits, ob ich ihn ohne Hilfe gefunden hätte weiß ich nicht. Doch als ich um kurz nach Acht vor den Türen stehe sind sie verschlossen. Verdammt. Und ein Schild mit den Öffnungszeiten? Fehlanzeige, so etwas kann ich nicht entdecken. Mir wurde gesagt das er auch Sonntags offen hätte, nur bei der Uhrzeit war sich die Malerin nicht sicher. Sollte ich vielleicht warten?
Aber nein, wenn er um acht Uhr nicht offen hatte, würde er wohl frühestens um neun öffnen. Wahrscheinlich. Und eine ganze Stunde warten, dafür fehlte mir nicht nur die Motivation sondern auch die Zeit. Ich musste los. Und gerade die ersten Meter musste ich gegen den Wind, je später ich ablegen würde, desto stärker würde der Wind sein. Also zurück zum Boot.
Eine Gute Entscheidung die sich auf dem Kanal bezahlt macht. Schnell lasse ich die alten Häuser der Innenstadt hinter mir und paddle an den Plattbodenschiffen vorbei. Es weht nur eine schwache Briese, auf dem Kanal herrscht die meiste Zeit Flaute. Perfekt wenn man gegen den Wind Strecke machen mag. Bereits in Makkum habe ich den Mast abgebaut. Auf dem kleinen Kanal nach Norden reicht der Platz nicht zum Segeln, außerdem sind da noch die festen Brücken. Und am Anfang geht es nicht nur gegen den Wind sondern auch durch Brücken. Diese können sich zwar theoretisch öffnen, praktisch ist es dafür aber noch zu früh. Vor neun Uhr passiert da nix. Mit gelegtem Mast komme ich bequem drunter und kann mich über die Ruhe auf dem Kanal freuen.
Die letzten Meter auf dem Kanal, über den ich gestern nach Makkum gerudert bin werden etwas anstrengender, der Wind frischt auf. Doch schon biege ich nach Norden ab. Kurs Witmarsum. Nun, jedenfalls für mich denn eigentlich führt dieser Kanal ja nach Bolsward.
Auch hier weht ein ordentlicher Wind, jetzt aber nicht mehr direkt von vorne sondern leicht schräg. Um es mir einfach zu machen versuche ich mich im Windschatten des Schilfes zu halten doch der ungleichmäßige Bewuchs macht dies nicht zu einem leichten Unterfangen. Immer wieder muss ich ausweichen um nicht hängen zu bleiben, finde mich plötzlich mitten auf dem Kanal wieder nur um dann zurück zum Rand zu rudern.
Anfangs nehme ich es in Kauf. Immerhin ist es tatsächlich leichter im Windschatten zu paddeln. Doch durch das hin- und her mache ich auch deutlich mehr Strecke. Letztlich lasse ich es sein und sehe einfach zu voran zu kommen. Denn hier irgendwo ist die Kanaleinfahrt auf den Kanal nach Norden und da hat sich das leidige Thema Wind aus der falschen Richtung erledigt. Einerseits kommt er dann von querab. Andererseits werde ich dann wohl nahezu nichts vom Wind bemerken, denn zumindest im Winter war der Kanal großzügig mit Schilf bewachsen.
Doch auch auf dem Kanal in Richtung Bolsward gefällt es mir. Alles ist grün, dank der noch nicht geöffneten Brücken ist es ruhig. Andere Menschen? Fehlanzeige.
Plötzlich öffnet sich das Schilf neben mir. Fast hätte ich es übersehen und wäre an der Kanaleinfahrt vorbei gefahren! Die Einfahrt ist gut versteckt, wüsste ich es nicht besser würde ich es für einen der Bewässerungskanäle halten die immer mal wieder von Kanälen abzweigen. Aber nein, das hier ist eine richtige Wasserstraße.
Der Kanal ist noch enger als in meiner Erinnerung. Das Wasser ist glatt, der Wind erreicht es nicht. Ich bin von hohem Schilf umgeben, kann nicht mehr in die Ferne sehen. Ja selbst Landmarken wie die hohen Windräder sind nicht mehr zu erblicken, sie verschwinden hinter den hohen, grünen Wänden. Um wenigstens im Ansatz zu wissen wo ich bin verfolge ich jede Kurve auf der Karte.
Hin und wieder geht es aber doch nach Osten, genau gegen den Wind. Und genau dann wird der Schutz zur Strafe. Denn was eben noch für einen angenehmen, windgeschützten Bereich gesorgt hat bildet nun eine Schneise bei der es gilt sie so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Denn sonderlich lang sind sie nicht.
Die Zeit vergeht wie im Flug und plötzlich erblicke ich voraus den Kirchturm von Schraard. Das Schilf wird niedriger, ich kann weiter sehen. Zügig schiebt sich BEA durchs Wasser, immer deutlicher ist der Ort zu erkennen.
Der Ort gefällt mir wieder gut. Es ist einfach nach den Touristischen Orten entlang der viel befahrenen Kanäle schön einen Ort zu durchqueren der mit dem Tourismus augenscheinlich nichts zutun hat. Einzig der leicht modrige Geruch, resultierend aus abgemähtem Schilf im Kanal stört ein wenig. Doch schnell hat sich die Nase auch daran gewöhnt und ich kann es mir nicht verkneifen neugierig in die Gärten der Einheimischen zu blicken.
Am Ortsausgang bringe ich BEA zum stoppen. Was ist denn hier los? Wenn ich mich bei den Brücken nicht verzählt habe müsste es jetzt erstmal geradeaus gehen. Doch wenn ich voraus sehe, sehe ich schon bald das Ende des Kanals. Da ist es grün, bewachsen. Land. Dafür biegt sich hier, wo ich bin, der Kanal um 90 Grad. Seltsam. Denn auf der Karte gibt es hier keinen Kanal der sich um neunzig Grad biegt. Genau genommen gibt es hier überhaupt keinen Kanal der abzweigt! Was jetzt?
Schließlich entscheide ich mich die Abzweigung zu nehmen. Immerhin führt dieser Kanal irgendwo hin. Und vielleicht habe ich mich ja nur bei den Brücken verzählt, dann könnte es passen. Ja, so muss es…
Rumps.
Wir hängen fest, sind aufgelaufen. Erst verdächtige ich die Schlingpflanzen doch schnell ist klar, das wir aufgelaufen sind. Also hole ich das Schwert ein Stück hoch und schiebe uns weiter nach vorne. Natürlich keine gute Idee. Denn jetzt hat mich das Kraut. Genervt halte ich inne. Irgend etwas stimmt hier nicht. Ein Stück voraus ist eine Brücke bei der ich mir nicht sicher bin ob BEA da durch passt. Und wir haben ja kein extremes Hochwasser. Wenn das der richtige Kanal wäre eher das Gegenteil. Nein, hier stimmt etwas so überhaupt nicht.
Das hier passt so wenig, das ich doch wieder dazu tendiere, den anderen Kanal – den, der scheinbar nach einigen Metern endet –für den Richtigen zu halten. Das hier passt einfach überhaupt nicht.
Schnell ist BEA gewendet und aus dem Kraut befreit. Auf dem anderen Kanal ist zwar auch Kraut, aber das Wasser ist tief genug und die meiste Zeit kann ich im Slalom um die Krautbüschel herum fahren. Nur gelegentlich ist der ganze Kanal bewachsen und ich muss BEA mühevoll vorwärts schieben.
Dann stehe ich vor der grünen Wand. Und plötzlich ergibt das alles einen Sinn. Der Kanal hier ist eng. Unglaublich eng. Ich habe meine Zweifel ob noch ein anderes Schlauchboot neben BEA gepasst hätte. Ein Kanu? Vielleicht. Gerade so. Und auch dann hätte wohl besser einer gewartet bis der andere an der Engstelle vorbei ist.
Doch schon nach wenigen Metern wächst der Kanal wieder zu seiner alten Breite und es geht weiter. Auch das Kraut verschwindet sehr schnell, die wenigen kleinen Büschel zu umfahren stellt kein Problem da. Noch bin ich im Windschatten doch an Land zeigt sich deutlich das der Wind aufgewacht ist. Es pustet ganz ordentlich aus Osten und ich kann nur hoffen, das der Kanal weiterhin gut geschützt ist. Denn schon bald werde ich genau in diese Richtung rudern müssen.
Schließlich macht der Kanal eine Biegung. Ich sehe Witmarsum. Und den Kanal nach Osten. Geschützt? Praktisch gar nicht. In einem Bogen führt er nach Osten doch ab jetzt muss ich gegen den Wind, der kraftvoll von vorne mein Vorwärtskommen behindern will. Immer wieder taucht das Paddel unter Wasser, schiebt und nach vorne. Ein Kraftakt, ich schwitze. Fluche leise, denn die ganze Zeit sehe ich Witmarsum querab. Und komme doch gefühlt nicht näher. So schön es hier auch ist, ich merke wie meine Kräfte zunehmend nachlassen. Und dabei ist es von Witmarsum aus noch mal etwa so weit bis Harlingen? Zugegeben, abgesehen von ein, zwei wirklich kurzen Abschnitten hinter Witmarsum muss ich dann nicht mehr gegen den Wind ankommen aber trotzdem. Ich will doch ans Meer!
Immer mehr fokussiert sich mein Blick auf den Wald im Osten. Sobald ich dort bin, habe ich dieses, vermutlich das härteste Stück für heute, geschafft.
Dann, etwa hundert Meter von den ersten Bäumen entfernt wird der Wind schnell schwächer und schläft ein. Ich habe es geschafft. Drei Stunden hat es gedauert – für gerade einmal eineinhalb Kilometer! Über drei Stunden paddeln mit aller Kraft und doch über Grund nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 500 Metern Pro Stunde! Viel langsamer geht doch gar nicht! (Hätte ich nur gewusst…).
Wenn jetzt nichts mehr dazwischen kommt sollte ich es noch vor Sonnenuntergang nach Harlingen schaffen. Zwar knapp, aber immerhin. Irgendwoher werde ich schon die Kräfte nehmen. In der Vergangenheit hat sie Nähe zum Meer auch immer noch einmal meine Kräfte mobilisiert.
Während ich mir die Brücke, die auch den Ortseingang von Witmarsum markiert ansehe fällt mir da etwas auf. Kanal gesperrt. An einem Sonntag, wegen einem Triathlon. Und zwar heute. Genau jetzt. Und zwar noch für mehr als eine Stunde. Eben war es noch knapp gewesen mit Harlingen, den Supermarktbesuche habe ich ja schon gestrichen gehabt. Aber jetzt? Noch mal eine Stunde warten? Dann schaffe ich es nicht mehr!
Und bereits kurz hinter der Brücke wird klar, das einfach durchmogeln nicht ist. Nicht nur das sich an Land eine Menschenmasse eingefunden hat – auch im Wasser tummeln sich Menschen. Denn voraus sind Schwimmer im Wasser. Nein, hier komme ich nicht durch. Nicht solange der Wettbewerb am laufen ist. Aber was jetzt? Ich wollte doch ans Meer! Soll ich jetzt etwa für den Törn darauf verzichten? Nicht einmal ans Meer kommen? Ich könnte heulen…
Übrigens – der Kanalabschnitt gehört, trotz allen, zu den schönsten die ich in Friesland erkundet habe. Mehr schöne Kanäle gibt es hier.
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